Verrohung der Debatte? Hassrede im Kontext der Flüchtlingskrise

Nach Godwins Gesetz wird es im Laufe einer Online-Diskussion immer wahrscheinlicher, dass die Rede auf Hitler oder den Nationalsozialismus kommt. Obwohl diese Gesetzmäßigkeit mit einem Augenzwinkern formuliert wurde (vgl. Godwin 1994), fußt sie auf tatsächlicher Foren-Erfahrung. Viele, die sich an langen Online-Diskussionen beteiligen, wissen, dass Debatten im Laufe der Zeit unsachlich werden, dass dort unpassende Vergleiche vorgenommen und Diskussionspartner persönlich diskreditiert und beleidigt werden. Über den Kommunikationsstil in Online-Medien gibt es schon seit länger Zeit Diskussionen – im Grunde schon seit der Zeit, in der das Internet das Licht der Welt erblickte und die Newsgroups im Usenet ab Mitte der 1980er Jahre anonyme Kommunikation zu allen denkbaren Themen ermöglichte.

Aber im Zuge des verstärkten Flüchtlingszuzugs konnte man in Deutschland ab ungefähr April 2015 eine steigende Aggressivität in den Debatten beobachten. Besonders in den populären Sozialen Medien, also vor allem bei Facebook und zum Teil bei Twitter, fiel eine Häufung von aggressiven, hasserfüllten und rassistischen Kommentaren auf, die den Bundesjustizminister im September 2015 zur Bildung einer Task Force „für den nachhaltigen und effektiven Umgang mit Hassbotschaften im Internet“ (Quelle) veranlasst hatten.

Oft ist also von Hassbotschaften oder Hasskommentaren die Rede. Die Begriffe mögen zutreffend sein, aber sie verschleiern die Abgründe der tatsächlichen Äußerungen (vgl. Hurtz 2015). Es fehlen einem die Worte angesichts der verwendeten Formulierungen. Der offensiv geäußerte, menschenverachtende Hass macht sprachlos.

51EF5fQHmnLVerständigung in öffentlichen Debatten wird immer schwieriger

Sprechen müssen wir aber darüber – ohne die Bedrohung dadurch zu überschätzen, aber auch mit dem Verdacht, dass die Aggressivität der Online-Debatten ein Baustein einer Entwicklung ist, im Zuge derer Verständigung in öffentlichen Debatten immer schwieriger wird. Denn wir brauchen im Kontext von Migration, Zuwanderung und Flüchtlingen unbedingt eine qualitätvolle öffentliche Diskussion über Ziele und Werte unseres Zusammenlebens, über Identität und Kultur und die Pflichten und Grenzen unserer Verantwortung für Humanität in dieser Welt.

In einem Beitrag zum Band „Begrenzt verantwortlich!?“ (hg. von Marianne Heimbach-Steins) habe ich jetzt versucht, die Frage beantworten, ob die Debatten in den Sozialen Medien wirklich aggressiver werden und wie man darauf medien- und sozialethisch reagieren kann. Der Band erscheint Anfang September 2016 (Vorbestellung im Buchhandel).

Angaben

Filipović, Alexander (2016 (im Druck)): Verrohung der Debatte? Hassrede im Kontext des Flüchtlingszuzugs nach Deutschland in den Sozialen Medien. In: Marianne Heimbach-Steins (Hg.): Begrenzt verantwortlich? Sozialethische Positionen in der Flüchtlingskrise. Sozialethische Positionen in der Flüchtlingskrise. Freiburg: Herder. (Vorbestellung im Buchhandel)

Im Aufsatz verwendete Quellen und Literatur (Auswahl):

Der philosophische Pragmatismus als Arbeitsschwerpunkt

Neben der Medienethik beschäftige ich mich seit ca. dem Jahr 2006 mit dem philosophischen Pragmatismus. Die Tagung „Der philosophische Pragmatismus in der Bewährung: Gesellschaftliche Konflikte zu Beginn des 21. Jahrhunderts“ ist für mich eine Gelegenheit, in dieser Hinsicht Bilanz zu ziehen und meine Texte zum Pragmatismus zu bündeln.

An meiner Wirkungsstätte, der Hochschule für Philosophie in München, hat sich eine Arbeitsgruppe Pragmatismus gebildet, die jetzt auch nach außen hin produktiv werden wird. Ich darf hier vielleicht schon mal leaken, dass wir im März 2017 Richard J. Bernstein für einen philosophischen Meisterkurs gewinnen konnten.

cover evp

Buch „Erfahrung – Vernunft – Praxis“

In meinem Buch „Erfahrung – Vernunft – Praxis“ (Schöningh, 2014) habe ich die Moralphilosophie des Pragmatismus bei den Klassikern (Peirce, James, Dewey, Mead) und bei den Neo-Pragmatisten (Rorty, Putnam, Habermas) rekonstruiert. Diese Abschnitte (85-160) lassen sich auch als Einführung in die Ethik des Pragmatismus lesen:

3 Elemente pragmatistischer Ethik

3.1 Das Ethikverständnis der klassischen Pragmatisten
3.1.1 „Konkrete Vernunft“ – Charles S. Peirce
3.1.2 Die moralische Gemeinschaft und die Standpunkthaftigkeit des Ethikers – William James
3.1.3 Moralische Entwicklung und der Bezug auf die bessere Gesellschaft – George Herbert Mead
3.1.4 Die implizite Normativität der Praxis – John Dewey

3.2 Religion und die Einheit der Erfahrung im Pragmatismus
3.2.1 Peirce – James – Dewey: Akzente pragmatistischer Erfahrungstheorie
3.2.2 Religiöse Erfahrung bei John Dewey

3.3 Moralphilosophische Beiträge jüngerer Zeit
3.3.1 Hoffnung auf die solidarische Rationalität – Richard Rorty
3.3.2 Die Integration von Fallibilismus und Anti-Skeptizismus – Hilary Putnam
3.3.3 Pragmatistische Detranszendentalisierung und moralische Richtigkeit – Jürgen Habermas

Ziel des Buches ist es, eine sich spezifisch christlich verstehende Sozialethik mit dem Pragmatismus bekannt zu machen; eine Wurzelbehandlung Christlicher Sozialethik sozusagen.

Aufsätze zum Pragmatismus

Daneben habe ich noch ein paar Aufsätze zum Thema Pragmatismus geschrieben. Ich hoffe, dass ich hier neben dem Hauptgeschäft, der Medienethik, weiterarbeiten kann. In die Liste sind nur Titel aufgeführt, die den Pragmatismus explizit zum Thema machen. Ich werde die Liste nach und nach ergänzen.

  • Filipović, Alexander (2022): Christliche Sozialethik und der Primat der Praxis. Ein pragmatistischer Orientierungsversuch auf dem Feld der Sozialtheorie. In: Jahrbuch für Christliche Sozialwissenschaften 63, 215–232.
  • Filipović, Alexander (2021): Royce and Mead on the foundations of ethics. In: Christoph Seibert und Christian Polke (Hg.): Josiah Royce – Pragmatist, Ethicist, Philosopher of Religion. Tübingen: Mohr Siebeck (Religion in philosophy and theology, 112), S. 109–121.
  • Filipović, Alexander (2017): Einleitung: Der Philosophische Pragmatismus in der Bewährung. In: Jahrbuch Praktische Philosophie in globaler Perspektive 1 (Schwerpunkt: Pragmatistische Impulse), S. 15–20.
  • Filipović, Alexander (2016): Feminismus – Pragmatismus – Medienethik. Zur Frage nach der geeigneten Moralphilosophie für die Gender-Medien-Thematik. In: Sigrid Kannengießer, Larissa Krainer, Claudia Riesmeyer und Ingrid Stapf (Hg.): Eine Frage der Ethik? Eine Ethik des Fragens. Interdisziplinäre Untersuchungen zu Medien, Ethik und Geschlecht. Weinheim, Bergstr: Beltz Juventa (Kommunikations- und Medienethik), S. 82–94.
  • Filipović, Alexander (2015): Pragmatistische Grundlegung Christlicher Sozialethik? In: Ethik und Gesellschaft (1). Online verfügbar unter https://open-journals.uni-tuebingen.de/ojs/index.php/eug/article/view/308.
  • Filipović, Alexander (2009): Das demokratische Ethos als Praxis. Der philosophische Pragmatismus und die Frage nach dem gesellschaftlichen Zusammenhalt. In: Jahrbuch für Christliche Sozialwissenschaften, Jg. 50, S. 133–164.
  • Filipović, Alexander (2008): Die Kritik an der Unterscheidung von Sein und Sollen im Pragmatismus. Über den Zusammenhang von Erkenntnistheorie, Ethik und Pädagogik. In: Pädagogische Rundschau, Jg. 62, H. 1, S. 107–114.

Niklas Luhmann – Ethik – Ironie

Vor ewigen Zeiten (2002) habe ich mal einen Artikel geschrieben, in dem ich versucht habe, mit Nikas Luhmann eine Medienethik zu fundieren. Das war mehr oder weniger mein erster wissenschaftlicher Artikel. Es stecken einige Gedanken darin, die mein medienethisches Denken auch heute noch prägen. Besonders den Zusammenhang von Ethik und Ironie finde ich weiterhin sehr anregend.

Der Aufsatz steht aber auch für eine intensive Luhmann-Lektüre meiner Studien- und Dissertationszeit, die vor allem über meinen kommunikationswissenschaftlichen Lehrer Manfred Rühl vermittel war; die letzten 10 Jahre habe ich dann eher mit Habermas verbracht… 😉

Preprint-Version

Ich stelle hier eine Preprint-Version zur Verfügung. Nicht zuletzt liefert der Aufsatz eine Zusammenstellung von Luhmanns verstreuten Bemerkungen zur Ethik und kann in dieser Hinsicht hilfreich sein. Die zitationsfähige Version findet sich in

Filipović, Alexander (2003): Niklas Luhmann ernst nehmen? (Un-)Möglichkeiten einer ironischen Ethik öffentlicher Kommunikation. In: Bernhard Debatin und Rüdiger Funiok (Hg.): Kommunikations- und Medienethik. Konstanz: UVK, S. 83–95.

Im Aufsatz verwendete Literatur

  • Anzenbacher, Arno (1998): Christliche Sozialethik. Einführung und Prinzipien. Paderborn.
  • Blöbaum, Bernd (1994): Journalismus als soziales System. Geschichte, Ausdifferenzierung und Verselbstständigung. Opladen.
  • Boventer, Hermann (1984): Ethik und System im Journalismus. Der Handlungsbedarf moderner Mediensysteme. Kritische Anmerkungen zu einem Aufsatz von Manfred Rühl und Ulrich Saxer. In: Publizistik, 29. Jg. (1984), H. 1, S. 34-48.
  • Bude, Heinz (1999): Empörung ohne Moral. Aus: Bude, Heinz (Hrsg.): Die ironische Nation. Soziologie als Zeitdiagnose. Hamburg. S. 71-85.
  • Furger, Franz (2001): Utopien und Visionen in der Sozialethik? In der Falle zwischen Utopie und Wissenschaft. Aus: Nacke, Bernhard (Hrsg.): Visionen für Gesellschaft und Christentum. Bd. 1. Wodurch Gesellschaft sich entwickeln kann. Würzburg. S. 74-80.
  • Heimbach-Steins, Marianne (2002): Sozialethik als kontextuelle theologische Ethik – Eine programmatische Skizze. In: Jahrbuch für Christliche Sozialwissenschaften, 43. Jg. (2002), S. 46-64.
  • – (2002a): Prüfkriterium und Korrektiv. Das „christliche Menschenbild“ als Ressource politischer Orientierung. In: Herder Korrespondenz, 56. Jg. (2002), H. 2, S. 73-78.
  • Horster, Detlef (1998): Zwei Philosophen, die sich dreißig Jahre lang aneinander rieben. In: Frankfurter Rundschau, Nr. 271 vom 21.11.2000, S. 21.
  • Kleinschmidt, Sebastian (1999): Pathosallergie und Ironiekonjunktur. In: Sinn und Form, 51. Jg. (1999), H. 6, S. 963.
  • Klemm, Helmut (2000): Mysterien eines denkenden Zettelkastens. Niklas Luhmanns legendäres Hauptwerk soll entmystifiziert und entschlüsselt werden. In: Süddeutsche Zeitung, Nr. 47 vom 26./27.2.2000, S. S. II (Beilage „SZ am Wochenende“).
  • Löffelholz, Martin; Quandt, Thorsten (2000): Funktion – Struktur – Umwelt: Das System als Paradigma. Aus: Löffelholz, Martin (Hrsg.): Theorien des Journalismus. Ein diskursives Handbuch. Opladen. S. 147-151.
  • Luhmann, Niklas [1984] (1987): Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie. (Erstveröff. 1984) Frankfurt a. M.
  • – (1969): Normen in soziologischer Perspektive. In: Soziale Welt, 20. Jg. (1969), H. 1, S. 28-48.
  • – (1978): Soziologie der Moral. Aus: Luhmann, Niklas; Pfürtner, Stephan H. (Hrsg.): Theorietechnik und Moral. Frankfurt a. M. S. 8-116.
  • – (1989): Ethik als Reflexionstheorie der Moral. Aus: Luhmann, Niklas (Hrsg.): Gesellschaftsstruktur und Semantik. Bd. 3. Frankfurt a. M. S. 358-448.
  • – (1990): Paradigm lost. Über die ethische Reflexion der Moral. Aus: Luhmann, Niklas; Spaemann, Robert (Hrsg.): Paradigm lost. Über die ethische Reflexion der Moral. Frankfurt a. M. S. 9-48.
  • – (1993): Wirtschaftsethik – als Ethik? Aus: Wieland, Josef (Hrsg.): Wirtschaftsethik und Theorie der Gesellschaft. Frankfurt a. M. S. 134-147.
  • – (1996): Die Realität der Massenmedien. 2. Aufl. Opladen.
  • – (1997): Die Gesellschaft der Gesellschaft. Frankfurt a. M.
  • – (1997a): Politik, Demokratie, Moral. Aus: Konferenz der deutschen Akademien der Wissenschaften (Hrsg.) 1997: Normen, Ethik und Gesellschaft. Mainz. S. 17-39.
  • Marcinkowski, Frank (1993): Publizistik als autopoietisches System. Politik und Massenmedien. Eine systemtheoretische Analyse. Opladen.
  • Rath, Matthias (2000): Kann denn empirische Forschung Sünde sein? Zum Empiriebedarf der Medienethik. Aus: Ders. (Hrsg.): Medienethik und Medienwirkungsforschung. Wiesbaden. S. 63-87.
  • Ronneberger, Franz; Rühl, Manfred (1992): Theorie der Public Relations. Ein Entwurf. Opladen.
  • Rühl, Manfred (1969): Systemdenken und Kommunikationswissenschaft. In: Publizistik, 14. Jg. (1969), H. 2, S. 185-206.
  • – (1979): Die Zeitungsredaktion als organisiertes soziales System. 2. Aufl. Freiburg – Schweiz.
  • – (1980): Journalismus und Gesellschaft. Bestandsaufnahme und Theorieentwurf. Mainz.
  • – (1996): Wie kommen bei der systemtheoretische Betrachtung (N. Luhmann) Normen ins Spiel? Modell Rundfunkpublizistik. Aus: Funiok, Rüdiger (Hrsg.): Grundfragen der Kommunikationsethik. Konstanz 1996. S. 41-58.
  • – (1999): Publizieren. Eine Sinngeschichte der öffentlichen Kommunikation. Opladen.
  • – (1999a): Publizieren und Publizistik – kommunikationswissenschaftlich betrachtet. In: Publizistik, 44. Jg. (1999), H. 1, S. 58-74.
  • – (2000): Medien (alias Mittel) und die öffentliche Kommunikation im Wandel. Aus: Zurstiege, Guido (Hrsg.): Festschrift für die Wirklichkeit. Wiesbaden. S. 105-118.
  • Rühl, Manfred; Saxer, Ulrich (1981): 25 Jahre Deutscher Presserat. In: Publizistik, Jg. 26 (1981), H. 4, S. 471-507.
  • Stichweh, Rudolf (Hrsg.) 1999: Niklas Luhmann – Wirkungen eines Theoretikers. Gedenkcolloquium der Universität Bielefeld am 8. Dezember 1998. Bielefeld
  • Veith, Werner (1999): Ethik im System Journalismus. Die Konzeption des Journalismus bei Manfred Rühl und eine Kritik aus sozialethischer Perspektive. In: Theologie der Gegenwart, Jg. 42, H. 1, S. 15-25.
  • Werth, Christoph H. (1999): Zivilisationspolitik als Aufgabe. Zum gesellschaftlichen Diskurs über Medienethik. Aus: Funiok, Rüdiger; Schmälzle, Udo F.; Werth, Christoph H. (Hrsg.): Medienethik – die Frage der Verantwortung. Bonn. S. 131-160.

Menschengerechte Demokratie. Das neue Jahrbuch für Christliche Sozialwissenschaften

Eine schöne Aufgabe meiner Münsteraner Zeit (bis August 2013) war die Schriftleitertätigkeit beim Jahrbuch für Christliche Sozialwissenschaften (vgl. auch den Wikipedia-Artikel). Durchaus eine herausfordernde Aufgabe, denn man hat immer zwei umfangreiche Bände in Vorbereitung, Druck oder Planung. In meiner Zeit am ICS in Münster mussten wir das Jahrbuch ziemlich umkrempeln und haben die Chance genutzt, das traditionsreiche Organ für heutige wissenschaftliche Publikationserfordernisse zu gestalten.

Das bedeutete neben der Einführung eines Peer-Review-Verfahrens vor allem, eine Online-Plattform zu schaffen und das Jahrbuch parallel zur Printausgabe auch online zu publizieren. In Zusammenarbeit mit der ULB Münster und mit Förderung durch die DFG ist uns das mit der Publikationssoftware OJS prima gelungen. Nicht nur werden unter www.jcsw.de die laufenden neuen Bände publiziert. Wir konnten auch alle bisher erschienenen Bände seit 1968 digitalisieren und so der (wissenschaftlichen) Öffentlichkeit für Recherchezwecke zur Verfügung stellen. Alles in allem ein zwar sehr zeitintensives, aber lohnendes Projekt.

Das neue Jahrbuch 54 (2013)

Das neue Jahrbuch für Christliche Sozialwissenschaften hat den thematischen Schwerpunkt „Demokratie“. Der Band ist dem Münsteraner Sozialethiker und Soziologen Karl Gabriel zum 70. Geburtstag gewidmet.

Zusammen mit Anna Maria Riedl habe ich einen Literaturbericht (peer-reviewed) beigesteuert: Der Text mit dem Titel „Demokratie und Christliche Sozialethik. Demokratie als Thema der deutschsprachigen katholischen Sozialethik nach 1945 – ein Literaturüberblick“ verfolgt das Ziel, einen kritischen Überblick über Texte aus dem Bereich der katholischen Christlichen Sozialethik zum Thema Demokratie zu geben. Startpunkt ist im zweiten Kapitel die Suche der katholischen Kirche nach einem neuen Verhältnis zur Demokratie in der Nachkriegszeit. Im dritten Kapitel werden die christlich-sozialethischen Beiträge bis Mitte der 1960er Jahre behandelt, also bis zu den sozialen Umbrüchen der späten 60er Jahre und bis zu den unmittelbaren Impulsen des II. Vatikanums. Eine weitere Zäsur kann dann mit dem Zerfall des Ostblocks und dem Fall der Berliner Mauer ab Mitte bzw. Ende der 1980er Jahre gesetzt werden (viertes Kapitel). Im abschließenden Ausblick kommt der Text zu dem Ergebnis, dass es an einer expliziten ethisch-theoretischen Auseinandersetzung mit der Demokratie in der Christlichen Sozialethik mangelt.

Neben dem korrespondierenden Text meines Freundes und Kollegen Christian Polke („Protestantische Ethik und Demokratie. Ein deutschsprachiger Literaturbericht seit 1945„) gibt es ein paar weitere Highlights im Band:

Der Band kann über den Buchhandel (ISBN 978-3-402-10986-1    , Aschendorff Verlag) oder direkt beim Verlag bezogen werden. Die Texte werden 12 Monate nach Veröffentlichung dann frei online erreichbar sein (also ab 1.1.2015).

Medienethik beim Petersburger Dialog 2012

Am Mittwoch reise ich nach Moskau zum 12. Petersburger Dialog. Der Petersburger Dialog (offizielle Website, Wikipedia-Eintrag) ist ein Gesprächsforum mit dem Ziel, eine zivilgesellschaftliche Verständigung zwischen Deutschland und Russland zu fördern. Er wurde beispielsweise beschrieben als „das Hochamt der deutsch-russischen Beziehungen“So Winfried Weithofer in der Waiblinger Kreiszeitung vom 5.11.2012, S. 2..

Das Dach-Thema des diesjährigen Treffens ist „Russland und Deutschland: Die Informationsgesellschaft vor den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts“. Schirmherrin und Schirmherr sind Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel und der Präsidenten der Russischen Föderation, Wladimir Putin. Beide werden beim Abschlussplenum am Freitag im Kreml (16.11.2012) anwesend sein.

Es gibt beim Petersburger Dialog eine Reihe von Arbeitskreisen, darunter auch den Arbeitskreis „Kirchen in Europa“. Ich bin als Experte dieses Arbeitskreises eingeladen. Ausgewählt hat man mich, weil ich Berater der Publizistischen Kommission der Deutschen Bischofskonferenz bin und am medienethischen Impulspapier der Kommission mitgeschrieben habe.

Thema des Arbeitskreises ist „Der Mensch zwischen virtueller Welt und Realität. Chancen und Risiken der Informationsgesellschaft“. So lautet auch der Titel meines Impulsvortrags. Ich konzentriere mich in meinem Vortrag auf eine christlich-ethische Beurteilung der digitalisierten Informationsgesellschaft. In meinem Vortrag versuche ich auf drei Fragen eine Antwort zu geben:

  • Wie können wir das veränderte Leben in der digitalen Gesellschaft bewerten?
  • Wir können wir eine spezifisch christliche-ethische Beurteilung vornehmen?
  • Welche Folgen hat eigentlich der neue Modus von Vergesellschaftung, sozialer Kommunikation und Gemeinschaftsbildung für die Kirche?

Hier ein Auszug aus meinem Vortrag, der das ethische Kriterium der Beteiligungsgerechtigkeit einführt:

„Auf der politischen Ebene der Gestaltung des sozialen menschlichen Zusammenlebens geht es um Gerechtigkeitskriterien […]. Dabei wird die Beteiligung in und an dem zivilgesellschaftlichen Lebensraum Internet zur Frage gerechter Beteiligung. Das Kriterium gerechter Beteiligung verfolgt im Kern die Sicherung individueller Autonomie angesichts der generellen Problematik von Vergesellschaftungsprozessen. Zugehörigkeit zum und Beteiligung im Lebensraum Internet ist mehr und mehr die Voraussetzung für gesellschaftliche Teilhabe, und in diesem Sinne sind Kommunikationschancen immer auch Lebenschancen. Beteiligungsgerechtigkeit zielt auf die Überwindung von sozialer Ausgrenzung, mangelndem Anschluss und Mitbestimmung, Machtlosigkeit/Ohnmacht, Vereinsamung, Exklusion, Fremdbestimmung, Fremdheit und Nicht-Zugehörigkeit durch eine gesellschaftsstrukturelle Veränderung und ist in dieser Perspektive im Kern gesellschaftskritisch.“

Internetethik in Russland?

Dass der Petersburger Dialog zum Thema „Informationsgesellschaft“ stattfindet und in Russland gerade ein „Gesetz zum Sperren von Webseiten mit schädlichen Inhalten für Kinder“ in Kraft getreten ist, das eine Internetzensur mindestens ermöglicht (das deutsche „Zugangserschwerungsgesetz“ lässt grüßen, vgl. kritisch dazu netzpolitik.org), verleiht dem Treffen natürlich eine brisante Dynamik. Hinzu kommt, dass der Petersburger Dialog seit einigen Jahren in der Kritik steht. Und aktuell hat sich der Russland-Koordinator der Bundesregierung, Andreas Schockenhoff (CDU), kritisch über das „System Putin“ zu Wort gemeldet. Das Verfahren gegen Pussy Riot, repressive Tendenzen im Umgang mit Oppositionellen oder Einschränkungen der Versammlungsfreiheit durch das neue Demonstrationsrecht wurden von ihm kritisiert: „Hinter all dem steht eindeutig die Absicht, Kritik und organisierte Opposition zu unterbinden“ (Quelle). Von russischer Seite hat das eine entsprechende Reaktion hervorgerufen. Der Beitrag der Deutschen Welle dazu sieht den Petersburger Dialog als gefährdet an. Der Bundestag hat am vorigen Freitag eine Entschließung verabschiedet, in der es heißt:

„Mit besonderer Sorge stellt der Bundestag fest, dass in Russland seit dem erneuten Amtsantritt von Präsident Wladimir Putin gesetzgeberische und juristische Maßnahmen ergriffen wurden, die in ihrer Gesamtheit auf eine wachsende Kontrolle aktiver Bürger abzielen, kritisches Engagement zunehmend kriminalisieren und einen konfrontativen Kurs gegenüber Regierungskritikern bedeuten.“ (Quelle)

Das sind also die Vorzeichen… Ich bin sehr gespannt, wie das Treffen verläuft (Tagungshotel ist das ehemalige Hotel Ukraina, eine von Stalins Sieben Schwestern) und erhoffe mir (trotz der Irritationen und der Missstände) einen echten Austausch nicht nur in der AG Kirche. Und: Ich versuche zu twittern (http://twitter.com/afilipovic)!

Erzbischof Celli zu Kirche in den Social Media

Claudio M. Celli, Präsident des Päpstlichen Rates für die sozialen Kommunikationsmittel, hat auf der 13. Ordentlichen Vollversammlung der Bischofssynode (7. – 28. Oktober 2012) über die Bedeutung der sozialen Netzwerke für die kirchliche Kommunikation gesprochen.

Es handelt sich meines Erachtens um einen bemerkenswerten Text, vor allem weil er erstens die „digitale Arena“ als echten (und nicht degenerativen) Lebensraum vor allem jüngerer Menschen begreift, und zweitens eine Veränderung des eigenen kirchlichen Kommunikationsstils anmahnt, der deutlich über eine bloße Veränderung der Kommunikationsstrategie hinausgeht. Zitat:

„Wir müssen anerkennen, dass die digitale Arena heute die Realität vieler Menschen ist, in der sie leben, am deutlichsten in der westlichen Welt, aber auch zunehmend unter den Jugendlichen der Entwicklungsländer. Wir dürfen sie nicht mehr als „virtuellen“ Raum betrachten, der irgendwie weniger wichtiger wäre als der „reale“. Wenn die Kirche in diesem Raum nicht gegenwärtig ist, wenn die Gute Nachricht nicht auch „digital“ verkündet wird, laufen wir Gefahr, viele Menschen zu verlieren, für die das die Welt ist, in der sie „leben“: hier ist das Forum, auf dem sie ihre Informationen und Nachrichten beziehen, ihre Meinungen bilden und zum Ausdruck bringen, sich in Debatten engagieren, in Dialog treten und nach Antworten auf ihre Fragen suchen. Die Kirche ist schon gegenwärtig im digitalen Raum, aber die nächste Herausforderung ist jene, unseren Kommunikationsstil zu verändern, um diese Gegenwart wirksam werden zu lassen.

[…]

[D]ie neuen Medien sind wirklich eine offene Welt, frei, „auf Augenhöhe“, sie anerkennen oder privilegieren nicht automatisch Beiträge von etablierten Autoritäten oder Institutionen. In einem solchen Umfeld ist Autorität kein Recht sondern muss verdient werden. Das bedeutet, dass die kirchliche Hierarchie genauso wie die politische und gesellschaftliche neue Formen finden muss, um ihre eigene Kommunikation zu erarbeiten, damit ihr Beitrag in diesem Forum die angemessene Aufmerksamkeit erhält.“

Der nicht nur kirchenpublizistisch und medienethisch, sondern auch sozialethisch interessante Text ist auf den Seiten des Päpstlichen Rates für die sozialen Kommunikationsmittel hier veröffentlicht. Das Zitat stammt aus dieser privaten Übersetzung.

[via Clearingstelle Medienkompetenz der DBK; auch „Kirche 2.0“ setzt sich hier mit dem Text auseinander]

Medienethische Tagung zu „Echtheit, Wahrheit und Ehrlichkeit“ im Internet

[Anmerkung: Diesen Text habe ich als Pressemeldung für die angesprochene Tagung verfasst, die ich als Sprecher der FG KME in der DGPuK zusammen mit den Kollegen von der FG CVK vorbereitet habe . Zum Teil habe ich zitiert von www.netzwerk-medienethik.de und www.dgpuk.de]

Medienethische Tagung zu „Echtheit, Wahrheit und Ehrlichkeit“ im Internet

AuthenticityAn der Frage nach der „Echtheit, Wahrheit und Ehrlichkeit“ kommen wir im Zeitalter des Internets nicht mehr vorbei. Sie kennzeichnet die gesellschaftlichen Debatten um die Sozialen Netzwerke, das Leaking und die virtuellen Spielewelten. Es besteht großer Bedarf an politischer Gestaltung und ethischer Vergewisserung. Anonymität ist einerseits wünschenswert, andererseits in manchen Fällen rechtlich problematisch. Wie „echt“ sind Profile in Sozialen Netzwerken, wie kann die Wahrheit von Nachrichten überprüft werden und wie begegnen wir uns im Chat und in der Online Spielewelt? Ist da Platz für die Ethik, und wenn ja: Wie müssen die Normen und Werte dafür begründet und konkretisiert werden?

Die Tagung des Netzwerkes Medienethik fragt unter dem Titel „Echtheit, Wahrheit und Ehrlichkeit“ nach der ‘Authentizität’ in der computervermittelten Kommunikation (16-17. Februar 2012, Hochschule für Philosophie, München). Im Hinblick auf drängende Probleme, etwa Netzpolitik, Internet-Kompetenz und Datenschutz erörtern die Vorträge Bewertungsmaßstäbe der Authentizität und die Möglichkeit der Präsentation multipler Facetten des Selbst. „Trolling“ wird als Teil der sozialen Praxis in Online-Diskussionsräumen untersucht und die Hackerethik(en) mit der Frage nach dem Subjekt im Zeitalter digitaler Identität verbunden.

Theoretische und philosophische Ansätze, die etwa Authentizität und Wahrhaftigkeit in der computervermittelten Kommunikation grundlegend klären, werden mit praktischen Fragen, etwa der konkreten bildlichen Selbstoffenbarung im Netz verbunden. Spannende Konstellationen können erwartet werden, wenn die Philosophen Jean-Paul Sartre und Charles Taylor zu einer zeitgemäßen Internetethik „befragt“ und empirische Untersuchungen zu den Social Media als Kontrolleure und Manipulateure digitaler Wirklichkeiten präsentiert werden.

Die Jahrestagung des Netzwerkes Medienethik wird veranstaltet zusammen mit den DGPuK-Fachgruppen “Kommunikations- und Medienethik” und “Computervermittelte Kommunikation”. Alle weiteren Informationen zu Programm und Anmeldung finden Sie hier: http://www.netzwerk-medienethik.de/jahrestagung/Tagung2012.

Das 1997 gegründete „Netzwerk Medienethik“ hat sich zum Ziel gesetzt, die ethische Orientierung im Medienbereich zu fördern. Es verbindet in einer freien Arbeitsgemeinschaft Theoretiker (aus den Kommunikationswissenschaften, der Journalistik und der Praktischen Philosophie/Ethik) mit Praktikern (aus Berufsverbänden, Selbstkontrollgremien, Verlagen, öffentlich-rechtlichen und pivat-kommerziellen Rundfunkunternehmen). Die jeweils im Februar in München stattfindenden Jahrestagungen mit regelmäßig ca. 100 Teilnehmern stellen ein inzwischen bekanntes Gesprächsforum zu Fragen der Medienethik dar.

Inhaltlich wurde die Tagung vorbereitet von den Fachgruppen “Kommunikations- und Medienethik” und “Computervermittelte Kommunikation” der Deutschen Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft (DGPuK). Die DGPuK ist die Fachgesellschaft der Kommunikations- und Medienwissenschaft in Deutschland. Die Kommunikations- und Medienwissenschaft beschäftigt sich mit den sozialen Bedingungen, Folgen und Bedeutungen von medialer, öffentlicher und interpersonaler Kommunikation.

Markt und Moral – Zu Gast bei der Konrad Adenauer Stiftung

Im Rahmen eines Initiativseminars für Stipendiaten der Konrad Adenauer Stiftung zum Thema „Markt und Moral“ war ich eingeladen, eine christlich-sozialethische Sichtweise auf das Thema vorzustellen. Auch dabei: Ruprecht Polenz, Bundestagsabgeordneter der Stadt Münster (hier ein Bericht von seiner Website), Prof. Dr. Peter Kajüter vom Institut für Wirtschaftswissenschaften der Universität Münster sowie Dr. Siegfried Riediger von BASF-Coatings.

Bei solchen Podiumsdiskussionen empfiehlt sich eine prägnante Position und ich hatte mich entschieden, das christlich-sozialethische Potential einer ganz anderen Sichtweise ins Spiel zu bringen. Wirtschaftsethik aus christlicher Perspektive würde sich in dieser Sichtweise nicht an die Wirtschaft und ihre Sprache ausliefern, denn sonst wäre nur eine immanente Kritik möglich, die latent affirmativ bleibt. Statt dessen würde sie auf ihrer eigenen Sprache und ihrer eigenen Hoffnung bestehen und diese gegen die „Erzählung des Marktes“ ins Spiel bringen.

Mein Forderung nach einer christlich motivierten „zünftigen Kapitalismuskritik“ konnte die Stipendiaten der Konrad Adenauer Stiftung aber nicht so richtig von ihren Sitzen reißen 😉 – womit ich natürlich gerechnet hatte.

Natürlich bleiben wichtige methodische Überlegungen in diesem Statement unberücksichtigt, wie zum Beispiel die Notwendigkeit einer sachgerechten Wirtschaftsethik, die eine ökonomische Expertise braucht und insofern auch die ökonomische Sprache beherrschen muss. Aber wie gesagt: Das stand im Dienst einer prägnanten Position.

Bei der gelungenen Podiumsdiskussion hat Ruprecht Polenz das „christliche Menschenbild“ als Grundlage einer Wirtschaftsethik ins Spiel gebracht. Diese Formel, von christdemokratischen Politkerinnen und Politikern ja gerne verwendet, sollte dann begründen, warum man zwar von der Freiheit und Sozialität des Individuums ausgehen, aber auch deren Anfälligkeit für egoistisches Verhalten ins Kalkül ziehen muss. Herr Polenz hat das sehr behutsam ins Spiel gebracht, aber wie man mit dem christlichen Menschenbild argumentieren kann und wie nicht und was das überhaupt sein kann, ein „christliches Menschenbild“ – das wird als Frage übergangen. Aber die Beschäftigung genau mit diesen Fragen wäre für mich der Schlüssel, mit dem man „christliches Menschenbild“ und „Politik“ verknüpfen kann.

Mein Kurzstatement gibt es hier.

(Bildquelle)

Googles „Ich im Internet“ und die Verwendung einer medienethischen Expertise

Meine diversen Engagements in der wissenschaftlichen Medienethik (z.B. in der FG Ethik der DGPuK) führen dazu, dass ich ab und zu Interviewanfragen von Zeitungen und Hörfunksendern bekomme. Wenn ich keine Kollegin oder keinen Kollegen finde, der sich zu einer konkreten Frage besser auskennt und sich zu einem Interview bereit erklärt, mache ich das auch gerne selbst. Jedenfalls verstehe ich meine wissenschaftliche Rolle als Medienethiker so, dass ich nicht nur im wissenschaftlichen Bereich aktiv bin, sondern auch an dem medienethischen Diskurs außerhalb der engen Grenzen von „Wissenschaft“ teilnehmen möchte.

Vor ein paar Wochen bin ich von „Der Westen“ (Portal der WAZ Mediengruppe) angefragt worden, mich zu Googles Dienst „Me on the Web“ zu äußern (vgl. dies für eine kurze Erklärung). Die Anfrage skizzierte das Themenspektrum so: „bewegt sich zwischen dem narzisstischen Aspekt der Selbst-Googelei und den datenschutztechnischen Hintergründen“. Narzissmus, Datenschutz, Google – das sind also die medienethischen Themen, die für mediale Alltagskommunikation relevant sind.

Als Wissenschaftler muss man realistisch sein und nicht denken, dass man theoretische Differenzierungsbemühungen eins zu eins in die Mediensprache hinübertransportieren könnte. In diesem besagten Interview sind meine Aussagen sicher nicht falsch wiedergegeben worden. Aber natürlich werden sie in die Stoßrichtung eines Artikels eingepasst: Hier ging es der Autorin (bzw. der Redaktion) um Information, Orientierung, Werbung und um das Spiel mit den Ängsten und Befürchtungen der Nutzer (Google als Datenkrake…). Jedenfalls kann man mit Aufmerksamkeit rechnen, wenn man Googles privacy-Bemühungen zum Thema macht. Anstoß war vermutlich eine Presseerklärung bzw. Ankündigung von Google (vermutlich die hier).

Meine wissenschaftliche Expertise ist jedenfalls (wenn überhaupt) eine wissenschaftliche Expertise. Die Verwendung dieser Expertise in anderen Kommunikationszusammenhängen ist notwendig und sinnvoll, aber der andere Kontext verändert dann auch immer die Aussagen. Google zu „loben“, wie in dem Artikel geschrieben, würde mir wissenschaftlich jedenfalls nicht einfallen, auch wenn ich dort positive Aspekte entdecke (und die Thematisierung von Online-Identity und das Anbieten von Tools dafür sehe ich bei aller Ambivalenz durchaus positiv).

Das Zeitunglesen-Ritual am Ende

Es gibt gewisse Medien-Nutzungs-Rituale, die die aktuelle Generation junger Menschen gar nicht mehr ausbildet. Die Ritualität der Medien-Nutzung ist beim Zeitunglesen und Fernsehen ganz deutlich, etwa das morgendliche Zeitunglesen oder die Tagesthemen vor dem Zubettgehen. Aber: Der Wandel öffentlicher Kommunikationsformen und Ihrer Medien hin zum Internet führt natürlich auch zu einer Veränderung der Rituale. Meine Studentinnen und Studenten jedenfalls lesen zum Großteil keine Zeitung mehr.

Folgender medienethischer Gedanke zum Ende des Zeitunglesen-Rituals hat seinen Kern in der Frage, wie es dann noch möglich ist, irritiert zu werden. Irritation, durch Sinn, durch Fremdes, durch alternative Vorstellungen des guten Lebens begreife ich überhaupt als Bedingung dafür, dass Gesellschaftskritik möglich ist.

Das Ende des Zeitunglesen-Rituals führt dazu, dass man nicht mehr von Themen und Sinn angerührt und gefunden wird, sondern nur noch selbst auf die Suche nach Themen geht und sich den Medienmix nach dem eigenen Geschmack zusammensetzt. An sich nicht schlecht, aber wie ist es da noch möglich, irritiert zu werden, von der anderen Seite zu erfahren, mit dem Fremden konfrontiert zu werden? Das Leid in der Welt, oder sanfter: politische und soziale Probleme, kommen vielleicht gar nicht mehr medial an, weil die selbst abonnierten RSS- und Twitter-Feeds und News-Seiten nur noch Statusupdates von Freunden, Gossip der Lieblingsschauspieler übermitteln. Und diejenigen, die gar nicht wissen, was ein RSS-Feed ist, klicken sich durch die Youtube-Vorschlagsliste, die immer nur ähnliche (aber nie ganz andere) Titel nennen, wenn sie sich nicht gleich nur noch amerikanische Serien von irgendwoher besorgen und sich darüber in einem Forum austauschen.

Mit anderen Worten: Was ist mit dem Wichtigen, das nicht meinen Freunden als Wichtig gilt oder nicht thematisch mit dem verbunden ist, was mir bisher wichtig war? Kommt es bei mir an? Wer sicherstellen will, dass es ankommen kann, sollte ein Zeitunglese-Ritual ausbilden (analog: ein Tagesthemen-Ritual), z.B. jeden Morgen mindestens 15 Minuten eine (Qualitäts-) Tageszeitung durchblättern.

Update 2.5.2011

Gerade habe ich dieses passende Zitat gefunden: „Im Internet finde ich ja meist nur, was ich suche. In der Zeitung finde ich Dinge, von denen ich gar nicht wusste, dass sie mich interessieren.“ (Michael Ringier, Verleger, im Interview mit der taz, 15.09.2007, Fundstelle)

Für vertiefende Gedanken im Umfeld dieses Themas vgl. meinen Beitrag Filipović, Alexander (2011): Ethik der Medienritualität jugendlicher Identitätsentwicklung. In: Petra Grimm und Oliver Zöllner (Hg.): Medien – Rituale – Jugend. Perspektiven auf Medienkommunikation im Alltag junger Menschen: Franz Steiner (Medienethik, 9), S. 29–41.