Der überwachte Mensch

Neue Publikation zum „Streitfall Überwachung“: Das jetzt erschienene Heft 2/2015 des Journals für politische Bildung befasst sich mit der Freiheit im digitalen Zeitalter. Im Heft bin ich mit dem Beitrag „Der überwachte Mensch. Politisch-philosophische Reflexionen zu Big Data“ vertreten. So weit ich weiß, ist der Text online nicht erreichbar. Das Themenheft kostet 18 EUR und lässt sich hier bestellen.

Die Frage nach dem überwachten Menschen in digitalen Zeiten

Der Beitrag widmet sich dem Thema Überwachung auf einer allgemeinen Ebene. Er stellt die Frage nach dem überwachten Menschen in digitalen Zeiten – also in Zeiten, in denen unser Verhalten und Kommunizieren aufgezeichnet, gespeichert und ausgewertet wird. Die Frage nach dem Menschen ist dabei moralisch motiviert: Entsprechen zeitgenössische Überwachungsformen und -praktiken unseren Vorstellungen eines guten und gerechten Lebens?

Am Anfang des Gedankengangs steht der Begriff der Überwachung. Überwachungspraktiken sind ambivalent, vielgestaltig und nicht leicht zu beurteilen. Die Autonomie der Überwachten bleibt das normative Kriterium. Im zweiten Schritt stelle ich die digitalisierte Gesellschaft als Überwachungsgesellschaft vor. Drittens ergänzt das Stichwort Big Data die kritische Beschreibung der Strukturen, die uns überwachte Menschen umfangen: der überwachte Mensch ist heute der vorhergesagte Mensch. Der vierte Teil thematisiert das Verhältnis von Überwachern und Überwachten und stellt fest, dass Überwachung nicht als Handlung bestimmter Akteure, sondern als soziales Dispositiv rekonstruiert werden muss. Schließlich dreht sich der fünfte Abschnitt um die Möglichkeiten der Autonomie in Überwachungsgesellschaften, die vornehmlich politisch geschaffen werden müssen.

Angaben

Filipović, Alexander (2015): Der überwachte Mensch. Politisch-philosophische Reflexionen zu Big Data. In: Journal für politische Bildung 5 (2), S. 8–15.

Im Beitrag verwendete Literatur

  • Albrechtslund, Anders (2008): Online Social Networking as Participatory Surveillance. In: First Monday 13 (3). Online verfügbar unter http://firstmonday.org/ojs/index.php/fm/article/view/2142/1949.
  • Bauman, Zygmunt; Lyon, David (2013): Daten, Drohnen, Disziplin. Ein Gespräch über flüchtige Überwachung. Berlin: Suhrkamp (edition suhrkamp, 2667).
  • Bentham, Jeremy (2013): Panoptikum oder Das Kontrollhaus. Hg. v. Christian Welzbacher. Berlin: Matthes & Seitz (Batterien, N.F., 14).
  • Bigo, Didier (2006): Globalized (in)security. The field and the ban-opticon. In: Naoki Sakai und Jon Solomon (Hg.): Translation, biopolitics, colonial difference. Hong Kong: Hong Kong Univ. Press (Traces, 4), S. 109–157.
  • Brey, Philip (2005): Freedom and Privacy in Ambient Intelligence. In: Ethics Inf Technol 7 (3), S. 157–166. DOI: 10.1007/s10676-006-0005-3
  • Deleuze, Gilles (1993): Postskriptum über die Kontrollgesellschaften. In: Gilles Deleuze: Unterhandlungen, 1972-1990. Frankfurt am Main: Suhrkamp (edition suhrkamp, 1778), S. 254–262.
  • Foucault, Michel (1975/1977): Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses. Frankfurt am Main: Suhrkamp (stw, 184).
  • Kant, Immanuel (1786/2007): Grundlegung zur Metaphysik der Sitten. Kommentar von Christoph Horn, Corinna Mieth und Nico Scarano. Frankfurt a. M.: Suhrkamp (Suhrkamp Studienbibliothek, 2).
  • Lyon, David (2001): Surveillance society. Monitoring everyday life. Buckingham, Philadelphia: Open University Press (Issues in society).
  • Lyon, David (2007): Surveillance, power, and everyday life. In: Robin Mansell (Hg.): The Oxford handbook of information and communication technologies. Oxford, New York: Oxford University Press, S. 449–472.
  • Mayer-Schönberger, Viktor; Cukier, Kenneth (2013): Big Data. Die Revolution, die unser Leben verändern wird. München: Redline.
  • Nagenborg, Michael (2014): Surveillance and persuasion. In: Ethics Inf Technol 16 (1), S. 43–49. DOI: 10.1007/s10676-014-9339-4.

Anschlag auf Satiremagazin „Charlie Hebdo“

Ich bin erschüttert von den Anschlägen auf das Satiremagazin „Charlie Hebdo“. Man sieht daran, wie wichtig es ist, den fundamentalen Wert der Meinungsfreiheit inklusive humanitärer Streitformen gegen seine Feinde zu verteidigen, politisch zu gestalten und gesellschaftlich zu pflegen. Meinungsfreiheit bedeutet nicht, dass wir einverstanden sein müssen mit den Äußerungen von anderen. Meinungsfreiheit ist eine Chiffre für die freiheitlich-humanitäre Gestalt, in der Meinungsverschiedenheiten ausgetragen werden. Sie hat gleichermaßen menschenrechtliche wie politisch-demokratische Funktionen.

Ich hatte mich Ende September 2012, als Mohammed-Karikaturen in dem Magazin erschienen sind, kritisch aus medienethischer Perspektive geäußert. Dass jetzt in dieser entsetzlich gewalttätigen Weise die Debatte über Meinungs- und Religionsfreiheit weitergeführt wird (so interpretiere ich den Anschlag zu diesem Zeitpunkt), ist katastrophal.

Journalismus unter Druck. Eine kleine Ethik des Journalismus

Über die Ethik des Journalismus habe ich für das Magazin der Zeitungsgruppe Straubinger Tagblatt/Landshuter Zeitung (Wikipedia-EintragInternetauftritt) letzten Samstag wieder einen größeren Beitrag geschrieben. Der Text trägt den Titel:

Journalismus unter Druck. Über die bleibende Bedeutung der öffentlichen Kommunikation für unser Gemeinwesen.

Mit freundlicher Genehmigung der Zeitung darf ich hier eine PDF-Datei des Beitrags zur Verfügung stellen.

Der Beitrag ist erschienen am 4.10.2014 auf S. 1 des Magazins zum Wochenende der Zeitungen der Mediengruppe Straubinger Tagblatt/Landshuter Zeitung.

Ende einer medienethischen Artikelserie

Er ist vorerst der letzte Beitrag einer kleinen Serie, die auch einen ganz guten Überblick über die Themenbereiche der Medienethik gibt. Hier alle drei Beiträge beieinander:

  1. Internetethik/Datenethik: Das Problem mit den Daten. Das Internet hat unser Leben revolutioniert. Doch gibt es ethische Direktiven, denen es folgen sollte? In: Straubinger Tagblatt/Landshuter Zeitung, 23.05.2014.
  2. Unterhaltungsethik: Mehr Niveau. Was wir von TV-Unterhaltung erwarten sollten. In: Straubinger Tagblatt/Landshuter Zeitung, 05.07.2014.
  3. Journalismusethik: Journalismus unter Druck. Über die bleibende Bedeutung der öffentlichen Kommunikation für unser Gemeinwesen. In: Straubinger Tagblatt/Landshuter Zeitung, 04.10.2014.

Ethik und Computerspiele – Neues Heft von Communicatio Socialis

Gestern ist das neue Heft von Communicatio Socialis erschienen. Im medienethischen Schwerpunktthema geht es dieses Mal um Ethik und Computerspiele. Beispielsweise gibt Melanie Verhovnik einen sehr hilfreichen Überblick über die Studien, die die Wirkung von gewalthaltigen Computerspielen erforschen (Text online hinter der Bezahlschranke). Jeffrey Wimmers Beitrag skizziert und problematisiert die Besonderheiten von moralischen Dilemmata, die innerhalb von Computerspielen Anwendung finden (der Beitrag ist als Leseprobe frei verfügbar).

Quelle: Uni BambergZum Heft habe ich auch einen kleinen Text „Das Kloster als Theoriegebäude“ beigetragen: Im Schwerpunkt „Kommunikation im Kloster“ beschreibe ich, wie und warum das Reden und Schweigen im Kloster bei Manfred Rühl eine theoretische Bedeutung hat. Anlass: Manfred Rühl feierte am 31.12.2013 seinen 80. Geburtstag. Ihm, meinem kommunikationswissenschaftlichen Lehrer an der Universität Bamberg von 1995 bis nach seiner Emeritierung 1999, habe ich diesen kleinen Essay gewidmet.

Weitere Informationen zum Heft hier. Die Beiträge sind online publiziert im E-Journal der Zeitschrift.

Mehr Niveau! Medienethik und TV-Unterhaltung

Über die Ethik der TV-Unterhaltung habe ich für das Magazin der Zeitungsgruppe Straubinger Tagblatt/Landshuter Zeitung (Wikipedia-EintragInternetauftritt) letzten Samstag einen größeren Beitrag geschrieben. Der Text trägt den Titel: Mehr Niveau. Was wir von TV-Unterhaltung erwarten sollten. Mit freundlicher Genehmigung der Zeitung darf ich hier das PDF des Beitrags zur Verfügung stellen.

Der Beitrag ist erschienen am 5.7.2014 auf S. 1 des Magazins zum Wochenende der Zeitungen der Mediengruppe Straubinger Tagblatt/Landshuter Zeitung. Im Internet ist er nur hinter der Bezahlschranke als EPaper erhältlich.

Neues Heft zu Communicatio Socialis zu Ethik des Boulevards und der Unterhaltung

Die Unterhaltung ist in der Medienethik eher ein Randthema und wird zu selten thematisiert. Die medienethische Zeitschrift „Communicatio Socialis“ widmet sich aber jetzt in ihrem neuen (Heft 2/2014) der Unterhaltung. Unter anderem hat Christian Schicha einen Aufsatz beigetragen. Hier gibt es das Inhaltsverzeichnis und das Editorial gratis (alle anderen Artikel gegen Abo oder Einzelartikelkauf).

Medienethisch bedeutsam ist die Fernsehunterhaltung vor allem aus zwei Gründen. Erstens gibt es dauernd Klagen über die mangelnde Qualität von Unterhaltungssendungen oder solchen Sendungen werden sogar für unmoralisch oder gefährlich erklärt. Zweitens erreichen Shows und Filme ein riesiges Publikum und transportieren dabei Werte, Gerechtigkeitsvorstellungen und Entwürfe des guten Lebens bis in den letzten Winkel der Gesellschaft. Beide Punkte verlangen nach einer gründlichen medienethischen Beschäftigung mit dem Thema.

Für meinen Text habe ich profitiert von meinem Hauptseminar zur Ethik der Fernsehunterhaltung im SS 14 an der HfPh. Hier das Programm:

10.04.2014

  • Vorbesprechung: Einführung, Erläuterung des Seminarprogramms, Verteilung der Referate/Impulse

24.04.2014 (diese und alle weiteren Sitzungen 4-stdg.)

  • Anthropologie und Ethik der Unterhaltung, Orientierungen in der Philosophie (Beispiel: Gewalt in Spielfilmen)
  • Zur Qualität des Fernsehprogramms. Ethik und Ökonomie (Marktanteile, Erlöse…) der Fernsehunterhaltung (Beispiel: Fernsehshows/ Unterhaltungsshows)

15.05.2014

  • Kritik an der Massenkultur bzw. „Kulturindustrie“ von Horkheimer und Adorno (Beispiel: (Volks-)Musikshows)
  •  Stanley Cavells Theorie der Populärkultur

22.05.2014 (zusammen mit Prof. Markus Schächter)

  • Narration und Wertkommunikation: kulturwissenschaftliche und ethische Perspektiven – theoretische Orientierung
  •  Fernseh- und Spielfilm (am Beispiel von „Unsere Mütter unsere Väter“)

05.06.2014

  • Fiktionale Fernsehserien (Beispiel: “Red Band Society”, „Borgen“)
  • Realitiy- und Scripted Reality-Formate („Berlin Tag & Nacht“, „Köln 50667“, Dschungelcamp, Castingshows)

26.06.2014

  • Doku- und Infotainment, Politische Talkshows
  • Qualitätskriterien für Fernsehunterhaltung ethisch entwickeln
Wer Grundlagentexte zur Ethik der (Fernseh-)Unterhaltung sucht, ist mit den beiden folgenden schon ganz gut bedient (habe ich auch für meinen Text herangezogen):
  • Hausmanninger, Thomas (1999): Von der Humanität vergnüglicher Mediennutzung. Überlegungen zu einer Ethik medialer Unterhaltung. In: Theologie der Gegenwart 42 (1), S. 2–14.
  • Wunden, Wolfgang, Medienethik im gesellschaftlichen Wandel. Wer setzt Normen für die TV-Unterhaltung, in: tv diskurs 5 (17) (2001) 38–41. Verfügbar unter: http://fsf.de/medienarchiv/beitrag/wer-setzt-normen-fuer-die-tv-unterhaltung-medienethik-im-gesellschaftlichen-wandel/.

Infrastrukturen der Vorhersage: Big Data in medienethischer Perspektive

Die Aufdeckung der Ausspähungen der Geheimdienste („NSA-Skandal“), die Bedeutung von Big Data und eine massiv sich entwickelnde Datenökonomie haben mittlerweile das Tableau medienethischer Herausforderungen verschoben und das Problem mit den Daten in den Vordergrund gerückt. Ethisch über Medien, Kommunikation und Öffentlichkeit zu reden bedeutet in den Tagen #SeitSnowden, über die Freiheit des Netzes und die informationelle Selbstbestimmung zu reflektieren.

In einem Vortrag, den ich am 25.06.2014 beim XIII. Tag der Medienethik an der Hochschule der Medien (HdM) in Stuttgart gehalten habe (Programm), betone ich, wie sehr Big Data, NSA-Skandal und der durch Digitalisierung vorangetriebene Medienwandel zusammen in den Blick genommen werden müssen. Medienethik beschäftigt sich nach wie vor mit klassischen Fragen – aber situiert sind diese Fragen heute auf einem Terrain, das durch Big Data, unrechter Geheimdiensttätigkeit und Digitalisierung/Mediatisierung markiert wird.

Hier gibt es den Vortrag als PDF. Über den XIII. Tag der Medienethik an der Hochschule der Medien wird auch hier und hier berichtet.

Native Advertising als medienethisches Problem

Native Advertising bei der dt. Huffington Post

Native Advertising bei der dt. Huffington Post (Screenshot vom 2.5.14)

Seit Stefan Niggemeier am 21. April 2014 bei Spiegel Online die Native Advertising-Praxis kritisiert hat (siehe hier, hier und hier), wird eine in den USA recht rege geführte Debatte nun auch in Deutschland intensiver ausgetragen. Es geht im Prinzip um als redaktionelle Beiträge getarnte Werbetexte, die anstelle von Bannerwerbung online publiziert werden und dem „Journalismus“ (hier zunächst im breitest denkbaren Sinne verwendet) aus der Finanzierungsklemme helfen sollen. Native Advertising ist in den Worten von Dan Greenberg

„defined as ad strategies that allow brands to promote their content into the endemic experience of a site in a non-interruptive, integrated way.“

Klar: Bannerwerbung klickt keiner und sieht kaum ein Mensch. Ein nett geschriebener Text im gleichen Layout interessiert eher. Wo ist das ethische Problem?

Zunächst fand Stefan Niggemeiers Posting deshalb Resonanz, weil er dem Spiegel Doppelmoral vorwerfen konnte: In der Ausgabe 17/2014 (19.4.2014, S. 134f.) findet sich unter der Überschrift „Seelen-Verkäufer“ ein Artikel, der diese Werbepraxis ausdrücklich ablehnt. Auch im Spiegel, so zitiert Niggemeier das Magazin, solle es solche Werbeformen nicht geben. Allerdings konnte er auch zeigen, dass in Spiegel Online schon seit längerem West Lotto im Gewand der redaktionellen Beiträge z.B. den Eurojackpot bewirbt (gekennzeichnet mit „Ein Service von West Lotto“). Die Kolumne ist mittlerweile vom Netz, Spiegel hat sich entschuldigt.

Ein Thema ist das Native Advertising aber auch, weil jetzt „sogar“ die New York Times diese Werbeform anwendet (Native-Advertising-Beispiel der NYT). Das war auch der Aufhänger des Spiegel-Artikels. In den USA wird die Debatte aber schon eine ganze Weile geführt. Deutlich wird dabei bei allen Diskussionen im journalistischen Kontext die schwierige Suche nach neuen und besseren Finanzierungsmodellen für Online-Journalismus. Wo der Finanzierungsdruck steigt, da wächst die Bereitschaft, Schleichwerbung zu erlauben. Damit wird auch das meines Erachtens größte ethische Problem in dieser Sache deutlich: Es ist die radikale Abhängigkeit des Journalismus von der Wirtschaft, die durch ihre Werbung die ganze Veranstaltung überhaupt erst finanziert. Es handelt sich hier um ein entscheidendes gesellschaftliches Problem: Wenn wir noch der Meinung sind, dass Journalismus und die öffentliche Kommunikation entscheidend für das Funktionieren von demokratischen Gesellschaften sind und gleichzeitig sehen, dass Redakteure Werbeanzeigen für die eigene Seite schreiben, sich dafür teuer bezahlen lassen und diese Anzeigen dann als solche verschleiern… Ist dann nicht der ganze privatwirtschaftlich betriebene und zumal in digitalen Zeiten von Anzeigen abhängige Journalismus überhaupt ein großes „Native Advertising“?

Der Gesetzgeber und die entsprechenden Selbstkontrolleinrichtungen (vgl. dazu den medienethischen Aufsatz zu Advertorials von Nina Köberer) haben den Trennungsgrundsatz kodifiziert, nach dem Werbung als „Anzeige“ zu kennzeichnen ist. Nina Köberer weist im Zusammenhang mit einer Untersuchung zu Jugendmedien nach, dass dies erstens nur sehr unvollständig tatsächlich auch geschieht und zweitens auch bei Kennzeichnung der Advertorials die Jugendlichen zu einem großen Teil gar nicht bemerken, dass es sich um Werbung, also um wirtschaftliche partikulare Interessen, handelt. Ziemlich desaströs…

Es geht also um „the Ethics of Using Paid Content in Journalism„. Online wird das Problem stärker werden und medienethisch vermutlich daher noch drängender. Neben den angedeuteten sozialethischen Problemen liegt das medienethische Problem natürlich vor allem darin, dass die Menschen getäuscht werden sollen. Wer getäuscht wird, kann nicht vernünftig und nicht moralisch handeln, seine Autonomie ist bedroht. Sich bei den Menschen einen Zugang zu erschleichen mit einer Werbebotschaft ist unmoralisch und verkauft die Menschen für dumm. Ob Native Advertising negativ auf die Unternehme zurückfällt – das bleibt zu hoffen.

 

 

Medienethische Fragen zur digitalen Vermessung der Welt – Big-Data-Seminar an der HfPh

Diese Woche geht hier an der Hochschule für Philosophie der Vorlesungs- und Seminarbetrieb wieder los. Heute ist die erste Sitzung unseres Medienethik-Seminars „Big Data: Medienethische Fragen zur digitalen Vermessung der Welt“, das ich zusammen mit meinem Kollegen und Mitarbeiter Christopher Koska durchführe. Hier der Ankündigungstext:

Bereits 2008 hat die Anzahl der Gegenstände, die mit dem Internet verbunden sind, die Anzahl der Weltbevölkerung überschritten. 90% aller weltweit verfügbaren Daten sind nach einer Studie von IBM in den letzten zwei Jahren entstanden. 2015 soll es, laut einer Studie von Intel, doppelt so viele Netzwerkgeräte geben, wie Menschen auf der Erde. All diese Geräte erzeugen über ihre Sensoren und über die Menschen, die sie benutzen, eine unvorstellbar große Datenmenge (Big Data). IT-Konzerne, Regierungen, Behörden und Institutionen sammeln und analysieren diese Daten, erstellen Personenprofile, filtern, vermarkten oder verkaufen Informationen. Gegenstand des Seminars sind die öffentlichen und privaten, ökonomischen und staatlichen Interessen im Prozess der Etablierung von Big-Data-Technologien bzw. der Informationssuche/-beschaffung. Ziel ist es aktuelle Konflikte zu analysieren, Chancen und Herausforderungen kritisch zu hinterfragen und Kriterien für deren Beurteilung zu begründen.

Das Programm ist ganz wesentlich von Christopher Koska konzipiert worden, der ein medienethisches Forschungsprojekt (Dissertation) zu diesem Themenfeld in Angriff genommen hat. Weitere Informationen zum Programm bei Interesse direkt bei Christopher Koska. Hier die zwanzig wichtigsten Bücher zu Big-Data1 (alle in der Hochschul-Bibliothek vorhanden):

  • Angwin, Julia (2014): Dragnet Nation: A Quest for Privacy, Security, and Freedom in a World of Relentless Surveillance.
  • Bunz, Mercedes (2012): Die stille Revolution. Wie Algorithmen Wissen, Arbeit, Öffentlichkeit und Politik verändern, ohne dabei viel Lärm zu machen.
  • Davis, Kord (2012): Ethics of Big Data: Balancing Risk and Information.
  • Flusser, Vilem (2000): Ins Universum der technischen Bilder.
  • Geiselberger, Heinrich /Moorstedt, Tobias (Hrsg.) (2013): Big Data: Das neue Versprechen der Allwissenheit.
  • Grimm, Petra /Capurro, Rafael (Hrsg.) (2008): Informations- und Kommunikationsutopien.
  • Han, Byung-Chul (2013): Im Schwarm: Ansichten des Digitalen.
  • Krotz, Friedrich (Hrsg.) (2007): Mediatisierung: Fallstudien zum Wandel von Kommunikation.
  • Krotz, Friedrich /Hepp, Andreas (Hrsg.) (2012): Mediatisierte Welten: Forschungsfelder und Beschreibungsansätze.
  • Kuhlen, Rainer/ Semar, Wolfgang/ Strauch, Dietmar (Hrsg.) (2013): Grundlagen der praktischen Information und Dokumentation: Handbuch zur Einführung in die Informationswissenschaft und -praxis.
  • Lanier, Jaron (2010): Gadget. Warum die Zukunft uns noch braucht.
  • Mainzer, Klaus (2014): Die Berechnung der Welt: Von der Weltformel zu Big Data.
  • Mayer-Schöneberger, Viktor /Cukier, Kenneth (2013): Big Data: Die Revolution, die unser Leben verändern wird
  • Morozov, Evgeny (2011): The net delusion : how not to liberate the world.
  • Morozov, Evgeny (2013): Smarte neue Welt: Digitale Technik und die Freiheit des Menschen.
  • Pariser, Eli (2012): Filter Bubble: Wie wir im Internet entmündigt werden.
  • Schmidt, Eric/ Cohen, Jared (2013): Die Vernetzung der Welt: Ein Blick in unsere Zukunft.
  • Stichler, N. Richard/ Hauptmann, Robert (Hrsg.) (2009): Ethics, Information and Technology: Readings.

Neben den Themenbereichen „Journalismus/Öffentlichkeit/Demokratie“ und „Unterhaltung und Medien“ ist der Bereich „Internet/Information/Digitale Technologie“ der dritte Schwerpunkt meiner Arbeit am Lehrstuhl für Medienethik.

  1. Ob das die 20 wichtigsten Bücher sind, weiß ich natürlich nicht und ist nur eine Formulierung für die Suchmaschinen – es sind ja noch nicht einmal genau 20… 😉 Aber aus der Fülle der jüngeren und jüngsten Literatur erschienen uns diese Titel als zentral und für das Seminar besonders geeignet.

Das Problem mit den Daten

Über Datenschutz, Totalüberwachung und das gute Internet habe ich für das Magazin der Zeitungsgruppe Straubinger Tagblatt/Landshuter Zeitung (Wikipedia-Eintrag, Internetauftritt) neulich einen umfangreichen Beitrag geschrieben. Mit freundlicher Genehmigung der Zeitung darf ich hier das PDF des Beitrags „Das Problem mit den Daten“ zur Verfügung stellen.

Der Beitrag ist erschienen am 22.3.2014 auf S. 1 des Magazins zum Wochenende der Zeitungen der Mediengruppe Straubinger Tagblatt/Landshuter Zeitung. Im Internet ist er nur hinter der Bezahlschranke als EPaper erhältlich.

Algorithmen-Ethik und ein ahnungsloses Huhn

Johannes Boie schreibt heute (7.3.3014) auf der Seite 3 der Süddeutschen Zeitung über die Gefahren von Algorithmen, Big Data und über ein Huhn. Titel: „Die Seele gibt’s gratis“ (offenbar noch nicht online). Zum Huhn später mehr. Zunächst zur Algorithmen-Ethik: Es ist gut, dass mit Yvonne Hofstetter eine Person über die Gefahren einer algorithmisierten Welt aufklärt, die vermutlich wirklich weiß, was mit Big Data, schlauer Auswertung und riesiger Rechenkapazität alles möglich ist. Sie ist Chefin der Firma Teramark Technologies, eine Firma, die sich auf die Auswertung großer Datenmengen spezialisiert hat. Und als eine solche Expertin kommt sie oft zu Wort, in der FAZ, der TAZ, in 3SAT und bei Beckmann in der ARD.

In dem Artikel sind drei Gründe für die aktuellen Gefahren festgehalten:

  1. Immer mehr Daten durch Online-Kommunikation und datenliefernde vernetzte Dinge.
  2. Die explodierende Leistungsfähigkeit „künstlicher Intelligenz“.
  3. Verknüpfung von ursprünglich an verschiedenen Stellen angefallenen Daten, etwa durch die Geheimdienste (sofern sie nicht zugänglich vorliegen), aber auch durch Versicherungen, Steuerbehörden, Google, Facebook, die Post, etc.

Der Artikel kommt aber in der Frage, wo jetzt eigentlich genau das Problem liegt, nicht so recht auf den Punkt. Drei richtige Gedanken werden angedeutet:

  1. Die Algorithmen filtern unseren Weltzugang, wenn sie nach Hofstetter „einzig berechnen“, „für welche Informationen ein Mensch bezahlen wird. Folglich wird der Algorithmus entscheiden, ihm andere Informationen vorzuenthalten“. Hier geht es also um die versteckte und nach ökonomischen Regeln ablaufende Übernahme der Gatekeeper-Funktion, die wir bisher und auch in Zukunft doch lieber gerne einem professionellen Journalismus, einer Lexikonredaktion oder der Wissenschaft, also jedenfalls Menschen statt Maschinen, vorbehalten wollen.
  2. Den zweiten Gedanken steuert Evgeny Morozov bei: Die Frage der Algorithmen betrifft eine menschenrechtliche Dimension („Privatsphäre, Datensicherheit, Meinungsfreiheit“), für deren Schutz die Staaten die Verantwortung tragen. Das „autoritäre System“ der Algorithmen aber verletze diese individuellen Rechte.
  3. Der dritte Gedanke schließlich kommt von Frank Schirrmacher: Die Journalisten hätten längst gar keine Gelegenheit mehr für eine kritische Distanz zur Digitalisierung bzw. Algorithmisierung, weil ihr Berufs-Alltag selbst schon von den Algorithmen abhängt.

Der Artikel steht natürlich in aktuellem Zusammenhang mit Enzensbergers Regeln gegen für die digitale Welt (vgl. auch dazu diesen lesenswerten Text) und Martin Schulz‘ Warnung vor dem „technologischen Totalitarismus“ (vgl. auch Christian Lindners Text dazu).

In der Medienethik, meinem Fach, wird über das Thema auch nachgedacht. Ich halte den Freiheitsaspekt für entscheidend und habe in einem Aufsatz zum Thema Algorithmen Ethik ausgeführt, dass die Folgen der Digitalisierung oder Algorithmisierung der öffentlichen Kommunikation Auswirkungen haben auf die Freiheit öffentlicher Kommunikation. Ich plädiere statt der Enge des individuellen, durch Algorithmen geführten Mediengebrauchs für die Weite einer offenen und gemeinschaftlichen Kommunikationswelt. In einem Satz: Die Problematik der Algorithmen liegt darin, dass sie unsere Freiheit einschränken können. Ob sie unsere Handlungsspielräume vergrößern, oder aber (um das böse Wort zu benutzen) uns alle informationell gleichschalten, hängt von uns und unserer Politik ab.

Und wer in München ansässig ist: Im kommenden Sommersemester (2014) veranstalte ich zusammen mit meinem Mitarbeiter Christopher Koska ein Seminar dazu mit dem Titel: „Big Data: Medienethische Fragen zur digitalen Vermessung der Welt“ (Mittwochs 15-17 Uhr).

Jetzt aber noch zum Huhn: Der Artikel gefällt mir dort nicht, wo er ein wenig zu weltverschwörerisch rüberkommt und andeutet, dass die Algorithmen die Macht schon übernommen haben. Es ist ja durchaus schlimm, aber es sind immer noch Menschen, die die Dinger programmieren, laufen lassen und für ihre Zwecke benutzen. Und augenscheinlich ist diese Seite 3 ein ziemlich bemühter Versuch, die intellektuelle Diskussion über die Folgen der Digitalisierung, die im wesentlichen in der FAZ läuft, in die SZ zu transportieren. Und jetzt aber endlich wirklich zum Huhn… Schon klar: das Huhn im ländlichen Idyll des Gartens von Frau Hofstetter ist als radikal analoges, kaum intelligentes Geschöpf ein tolles Gegenbild zu den superschlauen digitalen Algorithmen in den kalten Kellern der Rechenzentren. Aber hätten diese Sätze sein müssen: „Ein Huhn stakt über die Terrasse.“ – „Aus dem Augenwinkel kann man dabei das Huhn beobachten.“ – Draußen plustert sich das Huhn auf.“ – „Man denkt an Yvonne Hofstetter und das Huhn in Zolling…“ – „Im Garten das ahnungslose Huhn.“? – Nein. Ich denke nicht.

Literaturliste zum Thema (Auswahl):

  • Bunz, Mercedes (2012): Die stille Revolution. Wie Algorithmen Wissen, Arbeit, Öffentlichkeit und Politik verändern, ohne dabei viel Lärm zu machen. Berlin: Suhrkamp (edition unseld, 43).
  • Dang-Anh, Mark; Einspänner, Jessica; Thimm, Caja (2013): Die Macht der Algorithmen – Selektive Distribution in Twitter. In: Martin Emmer, Alexander Filipović, Jan-Hinrik Schmidt und Ingrid Stapf (Hg.): Echtheit, Wahrheit, Ehrlichkeit. Authentizität in der Online-Kommunikation. Weinheim, Basel: Beltz Juventa (Kommunikations- und Medienethik, 2), S. 74–87.
  • Dreyer, Stephan; Heise, Nele; Johnsen, Katharina (2014): „Code as code can“. Warum die Online-Gesellschaft einer digitalen Staatsbürgerkunde bedarf. In: Communicatio Socialis 46 (3-4). Online verfügbar unter http://ejournal.communicatio-socialis.de/index.php/cc/article/view/71/67.
  • Filipović, Alexander (2013): Die Enge der weiten Medienwelt. Bedrohen Algorithmen die Freiheit öffentlicher Kommunikation? In: Communicatio Socialis 46 (2), S. 192–208. Online verfügbar unter http://ejournal.communicatio-socialis.de/index.php/cc/article/view/93/89.