Das „Web 2.0“ in sozialethischer Perspektive

Handelt es sich beim Web 2.0 („Social Web“) um einen Forschungsgegenstand der (christlichen) Sozialethik?Zur Skizze einer Beantwortung dieser Frage setze ich ein gewisses Verständnis von „Sozialethik“ voraus (vgl. z.B. hier ). Teile dieses Postings gehen zurück auf meinen Vortrag zum Thema “Sozialethische Herausforderungen des Web 2.0″ bei dem “Berliner Werkstattgespräch der Sozialethiker(innen)” (27.02.2008, Katholische Akademie, Berlin:) Welche Fragen wären zu stellen und wie könnte ein Forschungsdesign aussehen?

Das neue Netz wird in einem sozialethischen Ansatz vor allem als soziales Phänomen zu untersuchen sein. Eine deutliche Absage an technikzentrierte und allein ökonomische Analysen bedeutet dabei nicht, dass nicht auch Technik und Ökonomie mit diesen sozialen Phänomenen in Zusammenhang stehen. Es interessieren also soziale Prozesse der Online-Kommunikation, die einer Forschung zugänglich sind, wenn

„man kollektiv geteilte Gebrauchsweisen oder Praktiken untersucht, in denen individuelle und strukturelle Elemente zusammen fließen“ (Schmidt 2006: 38).

Dieser sozialwissenschaftliche „praxistheoretische“ Zugriff startet mit der Erkenntnis,

„dass sich in der Nutzung von Social Software Verwendungsgemeinschaften herausbilden, das heißt Gruppen von Personen, die eine Anwendung in ähnlicher Art und Weise nutzen“ (Schmidt 2006: 38 unter Rückgriff auf Höflich 2003).

Ins Zentrum der Aufmerksamkeit rücken damit Regeln und Regelmäßigkeiten, also Strukturen, die nicht nur „vorschreibend“ wirken und als „außerhalb von Akteuren vorfindlich“ interpretiert werden, sondern auch als symbolischer Horizont fungieren, innerhalb dessen Handelnde Handlungen und Ereignisse im Internet mit Bedeutung versehen.

Das Social Web oder Web 2.0 wird also als eine „Struktur“ verstanden, die (teil-) öffentliche Online-Kommunikationen als situierte und kreative HandlungenIn dieser Formulierung deutet sich an, dass ich von einem pragmatistischen Handlungsbegriff ausgehe, vgl. dazu Joas 1999. ermöglicht und stabilisiert. Dabei ist die Struktur zwar in gewisser Weise dem Handeln vorgängig, aber laufend veränderbar und empirisch weniger zugänglich als die Handlungen und Verwendungspraktiken.

Eine empirische Erhebung und Analyse der Handlungen und Verwendungspraktiken führt Jan Schmidt zur Formulierung einer inzwischen oft zitierten funktionalen Trias der Social-Web-Nutzung (vgl. Schmidt 2006a: 172f.). Aus der Forschungsperspektive der Sozialethik lässt sich das unter Rückgriff auf Schmidt (vgl. z.B. auch hier) so formulieren: Der sozialethische Blick auf das Web 2.0 interessiert sich für Regeln, Normen, Strukturen, Strategien, Routinen und Erwartungen

  • „für die Selektion und Rezeption von Informationen, die das Informationsmanagement beeinflussen“,
  • „für „die Präsentation des eigenen Selbst im Internet, die das Identitätsmanagement beeinflussen“,
  • „für Aufbau und Pflege von Netzwerken, die das Beziehungsmanagement beeinflussen“ (Schmidt 2006: 39).

Diese sozialen „Praktiken des Gebrauchs“ (Schmidt 2006: 39) werden durch eine „Struktur“ („Social Software“) ermöglicht und bringen diese hervor. Die konkreten Verwendungsweisen sind dabei abhängig von Erfahrungen anderer Formen des Informations-, Identitäts- und Beziehungsmanagements und knüpfen an an die Nutzung anderer öffentlicher Kommunikationsgelegenheiten. Sie sind eingebettet in weitere soziale Zusammenhänge. Studenten, Wissenschaftler und Politiker nutzen diese Strukturen also in ganz unterschiedlicher Weise.

Der mit Web 2.0 oder Social Web umschriebene sozialethische Forschungsgegenstand versteht also das Web 2.0 als „diejenigen onlinebasierten Anwendungen, die Informations-, Identitäts- und Beziehungsmanagement in den (Teil- )Öffentlichkeiten hypertextueller und sozialer Netzwerke unterstützen“ (Schmidt 2008: 71) – jedenfalls erscheint das als gangbarer Weg.

Diese funktionale Trias ist dabei, wenn ich das richtig verstehe, keine normative Setzung, sondern eine interpretative Leistung empirischer Untersuchungen gemeinsamer Verwendungsweisen, zum Teil auch aus Selbstaussagen von Nutzerinnen und Nutzern. Dennoch könnte hier (neben und zusammen mit der der sozialwissenschaftlichen Herangehensweise) auch eine sozialethische Fragestellung anknüpfen:

Menschen erfahren normative Ansprüche an ihr Kommunizieren und Handeln vermehrt in den mit der funktionalen Trias der Social-Web-Nutzung beschriebenen spezifischen Situationen des „social web“; ihnen ist die Gestaltung des Lebens und die Bewältigung dieses Projektes in diesen konkreten Fällen aufgegeben. Wo heute Informations-, Identitäts- und Beziehungsmangement „prekär“ werden, stellt das Social Web eine (knappe?) soziale Beteiligungsressource dar. Das ist im Prinzip, wie an anderer Stelle ausgeführt (vgl. Filipović 2007), eine Frage sozialer Gerechtigkeit. In Zeiten, in denen sich das Verhältnis von Lokalität und Globalität“Web2.0 is about glocalization, it is about making global information available to local social contexts and giving people the flexibility to find, organize, share and create information in a locally meaningful fashion that is globally accessible.” (Boyd 2005), Privatheit und Öffentlichkeit, Intimität und Distanz “Ambient intimacy is about being able to keep in touch with people with a level of regularity and intimacy that you wouldn’t usually have access to, because time and space conspire to make it impossible.” (Reichelt 2007), Sicherheit und Unsicherheit und Vertrautheit und Vertrauen neu sortiert bzw. die integrative Bewältigung dieser Aspekte (um nicht von Polen oder Dichtomien zu sprechen) eine „Aufgabe“ darstellt, deren Bearbeitung in neuen Sozialformen stattfindet, wird eine Sozialethik öffentlicher Kommunikation, die die kommunikativen Formen im Web 2.0 berücksichtigt und eigens untersucht, in neuer Weise relevant.

Diese sozialethisch-problemorientierte Perspektive lässt sich abschließend folgender Maßen veranschaulichen:

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Literatur

  • Boyd, Danah (2005): Why Web2.0 Matters: Preparing for Glocalization. Online verfügbar unter http://www.zephoria.org/thoughts/archives/2005/09/05/why_web20_matte.html, zuletzt geprüft am 05.08.2006.
  • Filipović, Alexander (2007): Beteiligungsgerechtigkeit als (christlich-)sozialethische Antwort auf Probleme moderner Gesellschaften. In: Eckstein, Christiane; Filipović, Alexander; Oostenryck, Klaus (Hg.): Beteiligung, Inklusion, Integration. Sozialethische Konzepte für die moderne Gesellschaft. Münster, Westf.: Aschendorff (Forum Sozialethik, 5), S. 29–40.
  • Höflich, Joachim R. (2003): Mensch, Computer und Kommunikation. Theoretische Verortungen und empirische Befunde. Frankfurt am Main: Lang.
  • Joas, Hans (1999): Einleitung: Schritte zu einer pragmatistischen Handlungstheorie. In: Joas, Hans: Pragmatismus und Gesellschaftstheorie. 2. Aufl. Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 7-22.
  • Reichelt, Leisa (2007): Ambient Intimacy. Online verfügbar unter http://www.disambiguity.com/ambient-intimacy/, zuletzt aktualisiert am 01.03.2007, zuletzt geprüft am 20.02.2008.
  • Schmidt, Jan (2006): Social Software: Onlinegestütztes Informations-, Identitäts- und Beziehungsmanagement. In: Forschungsjournal Neue Soziale Bewegungen, Jg. 19, H. 2, S. 37–47.
  • Schmidt, Jan (2006a): Weblogs. Eine kommunikationssoziologische Studie. Konstanz: UVK.
  • Schmidt, Jan (2008): Zu Form und Bestimmungsfaktoren weblogbasierter Netzwerke. Das Beispiel twoday.net. In: Stegbauer, Christian (Hg.): Social Software. Formen der Kooperation in computerbasierten Netzwerken. Wiesbaden: VS Verl. für Sozialwiss., S. 71–93.

Disclaimer: Dieser Artikel steht im Zusammenhang mit dem Forschungsprojekt „Social Software and Social Ethics„, das am Lehrstuhl Christliche Soziallehre und Allgemeine Religionssoziologie an der Uni Bamberg (Prof. Dr. Marianne Heimbach-Steins) unter meiner Leitung durchgeführt wird. Vgl. die Einträge in diesem Blog zum Forschungsprojekt unter dem Stichwort „SocSoftEthics

Beitrag zur pragmatistischen Ethik erschienen

In der Post waren heute zwei Belegexemplare und eine Reihe Sonderdrucke meines Beitrags zur pragmatistischen Ethik, erschienen in der „Pädagogischen Rundschau„. Das Heft trägt den Titel: „Philosophie – Pädagogik – Wissenschaft. Neue Beiträge zur Wissenschaftsgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts.“

Mein Text geht in Teilen zurück auf einen Vortrag bei der Societas Ethica Annual Conference zum Thema “Philosophical Approaches to Ethics – Methods and Foundations“; 23.08.2007, Swiss Hotel Management School, Leysin, Schweiz (vgl. den Eintrag hier). Der ursprüngliche Vortrag ist eingebettet in mein Forschungsprojekt, in dem es um die Frage geht, ob und inwiefern der philosophische Pragmatismus für das Fach Christliche Sozialethik fruchtbar gemacht werden kann.

In dem kurzen Beitrag möchte ich zeigen, dass das pragmatistische Verständnis vom Zusammenhang von Sein und Sollen Einsichten bereithält, die für das pädagogische, erziehungstheoretische und sozialethische Denken bewahrenswert sind. Die zentrale Frage lautet: Wie kann ausgehend von der pragmatistischen Kritik an der Dichotomie von Sein und Sollen (und damit: ausgehend von einem Zusammenfallen von Erkenntnistheorie und Ethik) eine pragmatistische Ethik beschrieben werden? Die Antwort auf diese Frage leitet dabei unmittelbar über zu Fragen der Erziehungstheorie.

Im Editorial (Steffen Schlüter/Alfred Langewand) heißt es einordnend zu dem Text:

„Erstrebt wird […] eine Vermittlung von Religion und Wissenschaft. Die Vermittlung der christlichen Religion mit der empirischen Wissenschaft bei Dewey führt zur Möglichkeit einer christlichen Sozialethik der Erziehung. Die gesamte Anlage des kurzen Textes zeigt eine Weiterentwicklung religionsphilosophischer Darstellungen in der amerikanischen Deweyforschung seit den 90er Jahren, aber auch Absichten einer Ethik der Pädagogik jenseits deutschsprachiger Idealismen der geisteswissenschaftlichen Pädagogik von heute. Es geht hintergründig um pragmatistische Kritik an wissenschaftsferner Pädagogik und ihren moralischen Ansprüchen auf Kritik gegenüber gesellschaftlichen Wirklichkeiten von Sozialisation und Erziehung, aber ohne einen Rückzug zum Positivismus einseitig verstandener empirischer Forschung.“Schlüter, Steffen; Langewand, Alfred (2008): Philosophie – Pädagogik – Wissenschaft. Neue Beiträge zur Wissenschaftsgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts. In: Pädagogische Rundschau, Jg. 62, H. 1, S. 3–8, 8.

Gerade die letzte Charakterisierung finde ich auf jeden Fall zutreffend.

Die komplette Angabe zu dem Text lautet:

Filipović, Alexander (2008): Die Kritik an der Unterscheidung von Sein und Sollen im Pragmatismus. Über den Zusammenhang von Erkenntnistheorie, Ethik und Pädagogik. In: Pädagogische Rundschau, Jg. 62, H. 1, S. 107–114.

CIA – El Masri – Kurnatz: Dokumentation einer Recherche

Bei der Sitzung des „Vereins zur Förderung der publizistischen Selbstkontrolle e.V“ am Rande der Jahrestagung 2008 des Netzwerkes Medienethik konnte ich den Journalisten Nicolas Richter (Süddeutsche Zeitung) kennen lernen. Der zurückhaltende Redakteur (Jg. 1973) berichtete über seine (und Hans Leyendeckers) Recherchen zu den Zusammenhängen „CIA -El Masri – Murat Kurnaz“ und die Rolle der Bundesregierung in dieser „Affäre“. Ich empfehle dazu Richters ausführliche und spannende Recherche-Dokumentation auf www.anstageslicht.de.

Gegenstand der Diskussion der Vereinsmitglieder nach einer kurzen Darstellung des Falls durch Richter war dann der Umgang der Bildzeitung mit einer Rüge durch den Deutschen Presserat. Lesenswert dazu ist die Veröffentlichung der Rüge durch den Deutschen Presserat: komplette Entscheidung des Beschwerdeausschusses 1 vom 11.09.2007.

Zwischen den Tagungen

Direkt nach Vorlesungsende stehen meistens einige Tagungen an. Ende letzter Woche war ich auf einer bildungsethischen Tagung in Loccum (im westlichen Nirgendwo von Hannover) – Anna hat sehr schön berichtet. Morgen früh geht es nach München zur Jahrestagung des Netzwerkes Medienethik; vorher ist noch die Jahressitzung des „Vereins zur Förderung der publizistischen Selbstkontrolle“ e.V. Bei der Jahrestagung geht es um „Ethische und normative Dimensionen der politischen Kommunikation“ – ein Thema, das mich auch eine Woche später bei einer Podiumsdiskussion beschäftigen Politikverdrossenheit und Medienschelte - Frey und Metzgerwird. Ich moderiere in der Katholischen Akademie, Berlin ein Podiumsgespräch mit dem Titel “Politikverdrossenheit und Medienschelte: Welche Ethik braucht politische Kommunikation?” mit Dr. Peter Frey, Leiter des ZDF- Hauptstadtstudios Berlin und Oswald Metzger, Publizist und Politikberater, Bad Schussenried.

These der Diskussion ist, dass es eine neue Politikverdrossenheit gibt, die auf ein neues Verhältnis von Politik und Medien (in der Berliner Republik und einen neuen Lobbyismus) zurückzuführen ist. Dabei geht es um „Medienethik“, das heißt um Fragen, ob es gut ist, wie es ist und welche Kriterien für ein Urteil angelegt werden können.

Ich freue mich sehr auf eine spannende Diskussion und habe schon gehört, dass sich ziemlich viele Personen angemeldet haben.

„Freiheit durch Sicherheit“ oder „Sicherheit durch Freiheit“?

Soeben ist der Call for Papers zur Tagung des Forums Sozialethik 2008 erschienen. Die Tagung trägt den Titel „Freiheit – Sicherheit – Risiko: Christliche Sozialethik vor neuen Herausforderungen“. Angezielt ist eine Reflexion der aktuellen Debatte um innere Sicherheit. „Freiheit – Sicherheit – Risiko“ soll beleuchtet werden aus der Perspektive der politischen Ethik (insbesondere Friedensethik), der Wirtschafts- und Arbeitsethik, der Umweltethik und der Bio- und Medizinethik.

Die Organisatorin und die Organisatoren bitten um Zusendung eines Exposés von 1-2 Seiten bis zum 21. April 2008. Alle Informationen zur Tagung hier.

Das Forum Sozialethik ist eine Initiative junger Sozialethikerinnen und Sozialethiker. Das Forum dient dem Austausch von Nachwuchswissenschaftlern und -wissenschaftlerinnen (Promotion, Habilitation, Privatdozenten und -dozentinnen) sowie fortgeschrittenen Studierenden des Faches Sozialethik im deutschsprachigen Raum. Interessierte benachbarter Disziplinen sind herzlich willkommen. Seit Anfang der 1990er Jahre trifft sich das Forum Sozialethik jedes Jahr im September zum wissenschaftlichen Austausch zu einem thematischen Schwerpunkt.

Bildungszugänge und -übergänge

Vor allem Bildungszugänge und Bildungsübergänge werden bei einer interessanten Tagung im Februar in Loccum auf den Prüfstand gestellt. Es handelt sich um das 2. Symposium des DFG-Projekts „Das Menschenrecht auf Bildung„. Hier gibt es weitere Informationen.

Tagungsankündigung: Die Ethik und die politische Kommunikation

Weil vielleicht nicht alle bei netzwerk-medienethik.de vorbeiklicken: Bei der nächsten Jahrestagung des Netzwerkes Medienethik geht es um ethische Problemfelder des politischen Journalismus, der politischen Öffentlichkeitsarbeit und der gesamten politischen Kommunikation. Eine große Tagung wurde da organisiert. Die Jahrestagungen des Netzwerks Medienethik stellen inzwischen das größte Treffen medienethisch Aktiver und Interessierter im deutschsprachigen Raum dar. Hier gibt es alle weiteren Informationen.

Vortrag zur Alltagsliteralität der Wissensgesellschaft

Morgen fahre ich nach Mülheim/Ruhr und besuche die Herbsttagung der Kommission Bildungs- und Erziehungsphilosophie in der Sektion Allgemeine Erziehungswissenschaft der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft. Thema der Tagung: „Medien, Technik und Bildung“ (1.-3.10.2007).
Der Titel meiner Präsentation lautet „Die Alltagsliteralität der Wissensgesellschaft. Wissensvermittlung, Beteiligung und Kompetenz in medien- und bildungsethischer Perspektive“. Darin sortiere ich einige Gedanken neu, die ich in meiner Dissertation dargestellt habe.
Das ist mein erster Auftritt bei den Pädagogen und Erziehungswissenschaftlern – ich bin sehr gespannt, wie mein Zugriff auf die erziehungswissenschaftlichen Fragestellungen ankommt. Das Handout gibts schon hier, die Präsentation nach der Tagung.

Tagungsrückblick „das neue netz“

Ende letzter Woche konnte ich die Hälfte der Tagung „das neue netz? Bestandsaufnahme & Perspektiven“ besuchen (und die Ergebnisse von Slot I, Slot II und Slot III kurz wiedergeben). Die Vorträge und Diskussionen fand ich sehr anregend, die Atmosphäre für eine wissenschaftliche Tagung einmalig: viele junge Leute, sehr offen und gesprächig. Über die inhaltlichen Anregungen für mein Projekt „Sozialethik und Web 2.0“ muss ich mir noch Gedanken machen. Interessant erscheinen mir in einem ersten kurzen Nachdenken die Fragen:

  • Hat das Web 2.0 eine Integrationsfunktion für die Gesellschaft?
  • Vergrößern das Web 2.0 als „Partizipationsarchitektur“ die Teilhabechancen an gesellschaftlichen Ressourcen (kulturell, soziale, wirtschaftliche…)?
  • Welche Anthropologie hat die Web 2.0-Forschung und welche Rolle spiel dabei „Körper/Leib“?
  • Welche Rolle spielt das Verhältnis von „self-disclosure“ und “Need for privacy” für die zivigesellschaftliche Bedeutung des Mitmach-Webs?
  • Wie ist es um die Bedeutung der Vertrautheit mit dem Web 2.0 bestellt und in welcher Relation steht damit das Vertrauen im Web 2.0? Kann Vertrauen hier als kognitive Modalisierung einer Erwartungshaltung bestimmt werden oder handelt es sich um normative Formen?Gedanken zur Bedeutung des Vertrauens in der „Wissensgesellschaft“ habe ich schon einmal hier veröffentlicht: Filipović, Alexander: Notwendige Vorurteile? Vertrauen in der Wissensgesellschaft. Aus: Filipović, Alexander; Kunze, Axel Bernd (Hrsg.): Wissensgesellschaft. Herausforderungen für die Christliche Sozialethik. Münster (Lit) 2003 (= Bamberger Theologisches Forum. 6), S. 47-56. Damals habe ich vor allem Luhmanns Vertrauens-Konzeption und Heidenreichs Wissensgesellschafts-Verständnis herangezogen. Kann man hinsichtlich des Vertrauens im Web 2.0 noch von Vertrauen als „eine der wichtigsten synthetischen Kräfte“Simmel, Georg [1908] (1968): Soziologie. Untersuchungen über die Formen der Vergesellschaftung. 5. Aufl. Berlin (= Gesammelte Werke. 2.), 263. sprechen?
  • Welche Möglichkeiten gibt es, das im Netz Unsichtbare (weil nicht verlinkt, nicht zitiert), aber obgleich Relevante (Alltagserfahrungen von Marginalisierten usw.) sichtbar zu machen?
  • Welche Argumente gibt es eigentlich, warum ein Informationsbedürfnis nicht mit einem Konsumbedürfnis gleichgesetzt werden darf? Worin liegt die andere Qualität eines Informationsbedürfnisses gegenüber einem Konsumbedürfnis?

Weitere Informationen zu der Tagung:

Weitere Beiträge bei Technorati und Fotos bei Flickr.

Disclaimer: Dieser Artikel steht im Zusammenhang mit dem Forschungsprojekt „Social Software and Social Ethics„, das am Lehrstuhl Christliche Soziallehre und Allgemeine Religionssoziologie an der Uni Bamberg (Prof. Dr. Marianne Heimbach-Steins) unter meiner Leitung durchgeführt wird. Vgl. die Einträge in diesem Blog zum Forschungsprojekt unter dem Stichwort „SocSoftEthics

Tagung „das neue netz“ III

Zu den Vorträgen im Slot 3.
Tina Guenther spricht über die Frage, ob die Problematik des Vertrauens im Netz relevant ist. Sie unterscheidet drei Bereiche: Märkte, Wissenserstellung und -management und schließlich Identitätsmanagement. Sie führt zunächst einige Voraussetzungen auf, die gegeben sein müssen, damit Vertrauen entsteht: actors, expectations, vulnerability, uncertainty, agency und embededness. Leitend ist dabei, dass Vertrauen als soziale Beziehung angesehen wird. Sie geht alle drei Bereiche durch und testet, ob diese Voraussetzungen gegeben sind. Vertrauen erscheint damit als extrem voraussetzungsvoller Begriff. Im nächsten Schritt führt sie für die drei Bereiche wiederum sechs Elemente auf, die Vertrauen online konstituieren bzw. etablieren. Das sind: Gründe (Nutzen und Signale), Routinen des Vetrauens (z.B. Evaluationssysteme), Reflexivität im Sinne von Erfahrung und Lernen, suspension und „Sprung des Glaubens“ (positive Vorwegnahme von Erwartungen), Experiencing (Gefühle) und schließlich enacting (Vetrauen möglich machen durch Vertrauen).

In der nachfolgenden Präsentation stellt Klaus Stein (mit Claudia Hess) Überlegungen zum Thema „Suchen und Bewerten – Sichtbarkeit auf Dokumenten- und Vertrauensnetzwerken“ vor. Leitend ist dabei die Perspektive der Informatik. Entscheidende Schwierigkeit von Suchmaschinen ist der Informationsüberfluss. (Dokumenten-)Sichtbarkeit erscheint dabei als entscheidender Faktor der Bewertung, wobei die Schwierigkeit darin besteht, dass man nicht weiß, warum ein Link gesetzt wird. Dafür werden Netzwerke von Personen herangezogen, die anhand von Vertrauen und Reputation untersucht werden und es entstehen Autoren-Dokumenten-Netzwerke. Mit diesem Ansatz kommen Suchmaschinen zu besseren Ergebnissen („Sichtbarkeitsberechnung“ als Empfehlungen).

Der dritte Vortrag schließt thematisch an: Theo Röhle spricht über „Suche 2.0: Social Search zwischen Werbung und Information“. Er startet mit der Frage, warum Suchmaschinenanbieter die Intentionen von Nutzern verstehen wollen: Zur Werbung (Suchmaschinen-Marketing) oder zur Verbesserung der Suchmaschinenergebnisse? Seine antwort auf die Frage: Was ist „social search“? „Social Search tools are internet wayfinding services informed by human judgement“ (Chris Sherman). Theo fokussiert im Folgenden auf „personalized verticals“ – Suchmaschinen, die von einzelnen zu bestimmten Themen „gebaut“ werden können. Dafür stehen diverse Dienste bereit („swicki“). Seine Betrachtungen laufen auf eine Untersuchung des Suchmaschinenmarketings hinaus. Das Marketing identifiziert Informationsbedürfnis mit Konsumbedürfnis. Letzte Entwicklungen in diesem Bereich stellen das behavior targeting dar. Social Search sieht er mit einer Tendenz der Umdeutung von Informationsbedürfnissen in Konsumtionsbedürfnisse.

[tag: dnn2007]