Meinungsfreiheit – aus aktuellem Anlass… (#akk, #annegate, #rezo)

Der Fall ist bekannt: Annegret Kramp-Karrenbauer hat vorgeschlagen darüber nachzudenken, ob für „Meinungsmache“ im Internet vor Wahlen nicht Regeln aufgestellt werden müssten. In Folge der ganzen Vorgeschichte startete sofort der Empörungszug. Es ging um nichts weniger als um „AKK vs. GG“ (Annegret gegen das Grundgesetz). Es melden sich auch die Stimmen, die für weniger Aufregung und mehr sachorientierte Debatte argumentieren (Anja Maier in der TAZ, Stephan Detjen im Deutschlandfunk).

Ich habe am Dienstag dem Deutschlandfunk (@mediasres, Bettina Köster) und der KNA (Leticia Witte) Interviews gegeben (zitiert etwa beim MDR oder bei BR24). Darin verfolge ich die Linie, dass Meinungsfreiheit nie absolut gilt, sondern als Grundrecht immer von anderen Grundrechten eingeschränkt werden kann. Vor allem im politischen, öffentlichen Diskurs aber ist Meinung, auch wenn sie geplant, organisiert, abgestimmt und mit Macht und Autorität daherkommt, ein wichtiger demokratischer Faktor und darf nicht eingeschränkt werden. Die Freiheit der „Presse“ (also der „Medien“) ist in Deutschland nach den Erfahrungen der sogenannten Gleichschaltung von Presse und Rundfunk in der Zeit des Nationalsozialismus ein hohes Gut. Das Zensurverbot im Grundgesetz bleibt die oberste Norm für jede öffentliche Kommunikation. – Das ist gerade wo es heute staatlicherseits Bestrebungen gibt, das Redaktionsgeheimnis aufzuweichen, immer wieder zu betonen.

Worüber es sich lohnt zu reden

Worüber es sich lohnt zu reden ist: Was bedeutet der digitale Strukturwandel der Öffentlichkeit für unser politisches System? Dürfen wir uns überhaupt noch der Hoffnungen hingeben, durch eine öffentliche Debatte könnten wir der gesellschaftlichen Selbstbestimmung noch eine gute Gestalt geben? Es sieht ja oft nicht so aus: Hate Speech, Desinformation etc.). Wobei Schwarzmalen und die unreflektierte Wiedergabe von Untergangsnarrationen unserer digitalen Welt ebenso gefährlich sind (siehe Bernhard Pörksens Vortrag bei der #rp19)…

Im Interview beim @dlf habe ich betont, wie wichtig eine politisch aktive junge Generation ist (siehe dazu auch Spreeblick). Und dass sie das Internet dazu nutzt, und zwar ganz in eigenem Sinne, mit eigenen Mitteln und Ansprüchen, im eigenen Modus und Stil – na klar! Dass „die Politik“ damit nicht gut umgehen kann ist ein Offenbarungseid. Aber auch dies steht in einem größeren Zusammenhang (siehe die Analyse von Thomas Klüwer).

Allgemeine Erreichbarkeit der öffentlichen Sphäre, sachliche Argumentation, Vernunftorientierung, Konsensfindung – diese Elemente unserer politischen Kultur scheinen gerade nicht durch den digitalen Strukturwandel der Öffentlichkeit befördert zu werden. Der Modus ist eher „Gereiztheit“ (Pörksen 2018) statt „Diskurs“. Statt vernünftiger Argumentation aller Betroffener sind die Existenz mehrere Realitäten, Segmentierung, Hate Speech, Ausschlusserfahrungen („political correctness”…), Populismus und Konfrontation Kennzeichen unserer Zeit.

Ich meine daher, dass es sich natürlich lohnt, über das Phänomen #rezo nachzudenken, gerne auch mit dem Terminus „politische Kultur“. Es geht um die Frage, wie wir miteinander streiten, wie wir unsere Überzeugungen bilden, äußern und auf die Überzeugungen von anderen reagieren. Und auch darum, wie aus diesen Überzeugungen Gesetze werden. Neue kommunikative Möglichkeiten (Internet…) stellen uns hier vor neue Herausforderungen. Das ist schon lange ein Thema in Publizistik, Politikwissenschaft, Medienethik usw. Und sollte auch ein Thema in den Parteien sein, auch in der CDU – aber nicht direkt nach einer eher ungünstigen Wahl.


Literatur (Belege und ausgewählte Hinweise zum Weiterlesen)

  • Altmeppen, Klaus-Dieter; Bieber, Christoph; Filipović, Alexander; Heesen, Jessica; Neuberger, Christoph; Röttger, Ulrike et al. (2018): Öffentlichkeit, Verantwortung und Gemeinwohl im digitalen Zeitalter. In: Publizistik 48 (3), S. 1–19. DOI: 10.1007/s11616-018-00463-1 .
  • Bedford-Strohm, Jonas; Filipović, Alexander (2019): Mediengesellschaft im Wandel – Theorien, Themen, ethische Herausforderungen. In: Gotlind Ulshöfer und Monika Wilhelm (Hg.): Theologische Medienethik im digitalen Zeitalter. Stuttgart: Kohlhammer (Ethik, 14).
  • Filipović, Alexander (2019): Alles Habermas!? Alternative Theorien für eine Ethik öffentlicher Kommunikation in Zeiten der Digitalität. In: Jonas Bedford-Strohm, Florian Höhne und Julian Zeyher-Quattlender (Hg.): Digitaler Strukturwandel der Öffentlichkeit. Ethik und politische Partizipation in interdisziplinärer Perspektive. Baden-Baden: Nomos (Kommunikations- und Medienethik, 10), S. 219–232. DOI: 10.5771/9783845291802-219.
  • Pörksen, Bernhard (2018): Die große Gereiztheit. Wege aus der kollektiven Erregung. München: Carl Hanser Verlag.
  • Stapf, Ingrid; Prinzing, Marlis; Filipović, Alexander (Hg.) (2017): Gesellschaft ohne Diskurs? Digitaler Wandel und Journalismus aus medienethischer Perspektive. Baden-Baden: Nomos (Kommunikations- und Medienethik, 5), DOI: 10.5771/9783845279824 .

Disclosure

Ich bin nicht Mitglied irgendeiner Partei. Ich bin als Sachverständiger in der Enquete-Kommission zu KI – benannt durch die Unionsfraktion des Dt. Bundestages. Ich bin auch in anderen Zusammenhängen bei der CDU (auch in direktem Kontakt mit AKK) als Experte tätig.

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