Medienethik beim Petersburger Dialog 2012

Am Mittwoch reise ich nach Moskau zum 12. Petersburger Dialog. Der Petersburger Dialog (offizielle Website, Wikipedia-Eintrag) ist ein Gesprächsforum mit dem Ziel, eine zivilgesellschaftliche Verständigung zwischen Deutschland und Russland zu fördern. Er wurde beispielsweise beschrieben als „das Hochamt der deutsch-russischen Beziehungen“So Winfried Weithofer in der Waiblinger Kreiszeitung vom 5.11.2012, S. 2..

Das Dach-Thema des diesjährigen Treffens ist „Russland und Deutschland: Die Informationsgesellschaft vor den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts“. Schirmherrin und Schirmherr sind Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel und der Präsidenten der Russischen Föderation, Wladimir Putin. Beide werden beim Abschlussplenum am Freitag im Kreml (16.11.2012) anwesend sein.

Es gibt beim Petersburger Dialog eine Reihe von Arbeitskreisen, darunter auch den Arbeitskreis „Kirchen in Europa“. Ich bin als Experte dieses Arbeitskreises eingeladen. Ausgewählt hat man mich, weil ich Berater der Publizistischen Kommission der Deutschen Bischofskonferenz bin und am medienethischen Impulspapier der Kommission mitgeschrieben habe.

Thema des Arbeitskreises ist „Der Mensch zwischen virtueller Welt und Realität. Chancen und Risiken der Informationsgesellschaft“. So lautet auch der Titel meines Impulsvortrags. Ich konzentriere mich in meinem Vortrag auf eine christlich-ethische Beurteilung der digitalisierten Informationsgesellschaft. In meinem Vortrag versuche ich auf drei Fragen eine Antwort zu geben:

  • Wie können wir das veränderte Leben in der digitalen Gesellschaft bewerten?
  • Wir können wir eine spezifisch christliche-ethische Beurteilung vornehmen?
  • Welche Folgen hat eigentlich der neue Modus von Vergesellschaftung, sozialer Kommunikation und Gemeinschaftsbildung für die Kirche?

Hier ein Auszug aus meinem Vortrag, der das ethische Kriterium der Beteiligungsgerechtigkeit einführt:

„Auf der politischen Ebene der Gestaltung des sozialen menschlichen Zusammenlebens geht es um Gerechtigkeitskriterien […]. Dabei wird die Beteiligung in und an dem zivilgesellschaftlichen Lebensraum Internet zur Frage gerechter Beteiligung. Das Kriterium gerechter Beteiligung verfolgt im Kern die Sicherung individueller Autonomie angesichts der generellen Problematik von Vergesellschaftungsprozessen. Zugehörigkeit zum und Beteiligung im Lebensraum Internet ist mehr und mehr die Voraussetzung für gesellschaftliche Teilhabe, und in diesem Sinne sind Kommunikationschancen immer auch Lebenschancen. Beteiligungsgerechtigkeit zielt auf die Überwindung von sozialer Ausgrenzung, mangelndem Anschluss und Mitbestimmung, Machtlosigkeit/Ohnmacht, Vereinsamung, Exklusion, Fremdbestimmung, Fremdheit und Nicht-Zugehörigkeit durch eine gesellschaftsstrukturelle Veränderung und ist in dieser Perspektive im Kern gesellschaftskritisch.“

Internetethik in Russland?

Dass der Petersburger Dialog zum Thema „Informationsgesellschaft“ stattfindet und in Russland gerade ein „Gesetz zum Sperren von Webseiten mit schädlichen Inhalten für Kinder“ in Kraft getreten ist, das eine Internetzensur mindestens ermöglicht (das deutsche „Zugangserschwerungsgesetz“ lässt grüßen, vgl. kritisch dazu netzpolitik.org), verleiht dem Treffen natürlich eine brisante Dynamik. Hinzu kommt, dass der Petersburger Dialog seit einigen Jahren in der Kritik steht. Und aktuell hat sich der Russland-Koordinator der Bundesregierung, Andreas Schockenhoff (CDU), kritisch über das „System Putin“ zu Wort gemeldet. Das Verfahren gegen Pussy Riot, repressive Tendenzen im Umgang mit Oppositionellen oder Einschränkungen der Versammlungsfreiheit durch das neue Demonstrationsrecht wurden von ihm kritisiert: „Hinter all dem steht eindeutig die Absicht, Kritik und organisierte Opposition zu unterbinden“ (Quelle). Von russischer Seite hat das eine entsprechende Reaktion hervorgerufen. Der Beitrag der Deutschen Welle dazu sieht den Petersburger Dialog als gefährdet an. Der Bundestag hat am vorigen Freitag eine Entschließung verabschiedet, in der es heißt:

„Mit besonderer Sorge stellt der Bundestag fest, dass in Russland seit dem erneuten Amtsantritt von Präsident Wladimir Putin gesetzgeberische und juristische Maßnahmen ergriffen wurden, die in ihrer Gesamtheit auf eine wachsende Kontrolle aktiver Bürger abzielen, kritisches Engagement zunehmend kriminalisieren und einen konfrontativen Kurs gegenüber Regierungskritikern bedeuten.“ (Quelle)

Das sind also die Vorzeichen… Ich bin sehr gespannt, wie das Treffen verläuft (Tagungshotel ist das ehemalige Hotel Ukraina, eine von Stalins Sieben Schwestern) und erhoffe mir (trotz der Irritationen und der Missstände) einen echten Austausch nicht nur in der AG Kirche. Und: Ich versuche zu twittern (http://twitter.com/afilipovic)!

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