Native Advertising als medienethisches Problem

Native Advertising bei der dt. Huffington Post

Native Advertising bei der dt. Huffington Post (Screenshot vom 2.5.14)

Seit Stefan Niggemeier am 21. April 2014 bei Spiegel Online die Native Advertising-Praxis kritisiert hat (siehe hier, hier und hier), wird eine in den USA recht rege geführte Debatte nun auch in Deutschland intensiver ausgetragen. Es geht im Prinzip um als redaktionelle Beiträge getarnte Werbetexte, die anstelle von Bannerwerbung online publiziert werden und dem „Journalismus“ (hier zunächst im breitest denkbaren Sinne verwendet) aus der Finanzierungsklemme helfen sollen. Native Advertising ist in den Worten von Dan Greenberg

„defined as ad strategies that allow brands to promote their content into the endemic experience of a site in a non-interruptive, integrated way.“

Klar: Bannerwerbung klickt keiner und sieht kaum ein Mensch. Ein nett geschriebener Text im gleichen Layout interessiert eher. Wo ist das ethische Problem?

Zunächst fand Stefan Niggemeiers Posting deshalb Resonanz, weil er dem Spiegel Doppelmoral vorwerfen konnte: In der Ausgabe 17/2014 (19.4.2014, S. 134f.) findet sich unter der Überschrift „Seelen-Verkäufer“ ein Artikel, der diese Werbepraxis ausdrücklich ablehnt. Auch im Spiegel, so zitiert Niggemeier das Magazin, solle es solche Werbeformen nicht geben. Allerdings konnte er auch zeigen, dass in Spiegel Online schon seit längerem West Lotto im Gewand der redaktionellen Beiträge z.B. den Eurojackpot bewirbt (gekennzeichnet mit „Ein Service von West Lotto“). Die Kolumne ist mittlerweile vom Netz, Spiegel hat sich entschuldigt.

Ein Thema ist das Native Advertising aber auch, weil jetzt „sogar“ die New York Times diese Werbeform anwendet (Native-Advertising-Beispiel der NYT). Das war auch der Aufhänger des Spiegel-Artikels. In den USA wird die Debatte aber schon eine ganze Weile geführt. Deutlich wird dabei bei allen Diskussionen im journalistischen Kontext die schwierige Suche nach neuen und besseren Finanzierungsmodellen für Online-Journalismus. Wo der Finanzierungsdruck steigt, da wächst die Bereitschaft, Schleichwerbung zu erlauben. Damit wird auch das meines Erachtens größte ethische Problem in dieser Sache deutlich: Es ist die radikale Abhängigkeit des Journalismus von der Wirtschaft, die durch ihre Werbung die ganze Veranstaltung überhaupt erst finanziert. Es handelt sich hier um ein entscheidendes gesellschaftliches Problem: Wenn wir noch der Meinung sind, dass Journalismus und die öffentliche Kommunikation entscheidend für das Funktionieren von demokratischen Gesellschaften sind und gleichzeitig sehen, dass Redakteure Werbeanzeigen für die eigene Seite schreiben, sich dafür teuer bezahlen lassen und diese Anzeigen dann als solche verschleiern… Ist dann nicht der ganze privatwirtschaftlich betriebene und zumal in digitalen Zeiten von Anzeigen abhängige Journalismus überhaupt ein großes „Native Advertising“?

Der Gesetzgeber und die entsprechenden Selbstkontrolleinrichtungen (vgl. dazu den medienethischen Aufsatz zu Advertorials von Nina Köberer) haben den Trennungsgrundsatz kodifiziert, nach dem Werbung als „Anzeige“ zu kennzeichnen ist. Nina Köberer weist im Zusammenhang mit einer Untersuchung zu Jugendmedien nach, dass dies erstens nur sehr unvollständig tatsächlich auch geschieht und zweitens auch bei Kennzeichnung der Advertorials die Jugendlichen zu einem großen Teil gar nicht bemerken, dass es sich um Werbung, also um wirtschaftliche partikulare Interessen, handelt. Ziemlich desaströs…

Es geht also um „the Ethics of Using Paid Content in Journalism„. Online wird das Problem stärker werden und medienethisch vermutlich daher noch drängender. Neben den angedeuteten sozialethischen Problemen liegt das medienethische Problem natürlich vor allem darin, dass die Menschen getäuscht werden sollen. Wer getäuscht wird, kann nicht vernünftig und nicht moralisch handeln, seine Autonomie ist bedroht. Sich bei den Menschen einen Zugang zu erschleichen mit einer Werbebotschaft ist unmoralisch und verkauft die Menschen für dumm. Ob Native Advertising negativ auf die Unternehme zurückfällt – das bleibt zu hoffen.